
Der Hjørundfjord liegt still, umrahmt von schneebedeckten Gipfeln. Doch die Ruhe trügt – in dieser Einsamkeit könnte jedes Echo eine Spur sein.| Havila Kystruten, Oclin
Ihr Revier befindet sich an Norwegens aufregender Westküste, und dort schwimmt sie elegant zur Tat. Dabei geht sie äusserst subtil vor. Leise. Sie lässt die Natur sprechen: tanzende Nordlichter, magische Sternenhimmel, wilde Wellen, süsse Robben, Mitternachtssonnenschein, kraftvolle Wasserfälle und orange Wolken über Walen. Sie wickelt die Gäste mit regionaler Küchenkunst um den Gaumen, bis diese wehrlos genug sind und zur Wiederholungstat schreiten. Jetzt verdichten sich die Indizien um die Verdächtige.
Ein Beitrag unseres Partners Kontiki
Schon ihr Name ist eine einzige Tarnung: Hurtigrute. Wer soll hinter einer „schnellen Route“ auch eine Meisterin der Manipulation erkennen? Nach wochenlangen Ermittlungen steht eines fest: Harmlos ist an der Hurtigrute gar nichts. Die „schönste Seereise der Welt“ hat es in sich. Sie schafft es, nichts ahnende Passagiere in entschlossene Wiederholungstäterinnen und -täter zu verwandeln. Wie sonst kann es sein, dass so viele Gäste immer wieder an Bord gehen und ihr schwimmendes Zuhause zwischen Bergen und Kirkenes auf dem Nordatlantik geniessen, als erlebten sie es zum ersten Mal? Und kaum haben sie das Schiff verlassen, schon wieder Hurtigruteweh bekommen?

Ein Loch im Felsen, wie ein stummer Zeuge vergangener Rätsel. Wer den Torghatten passiert, spürt: Hier hat die Natur ihre eigene Spur gelegt – und niemand weiss, wohin sie führt. | Ronny Lien, Visit Helgeland
Mit rechten Dingen kann es nicht zugehen. Wie genau die Hurtigrute vorgeht, wird aktuell untersucht. Die Auswertung der Spurenlage zeigt heute schon: Betroffen ist jede Jahreszeit.
Jede Jahreszeit verführt
Der Frühling, wenn das frische Grün spriesst, die Papageientaucher zum Brüten zurückkehren und die Wasserfälle wegen dem Schnee von den Gletscher noch mächtiger sind als sonst. Der Sommer, wenn das Naturkino mit seinen Spektakeln auf dem Panoramadeck auch nachts weiterläuft, an Land Wanderungen locken und die Sonne nie untergeht. Im Herbst, inmitten des Indian Summers, wenn der würzige Wind an Deck weht, die Luft klar ist und erste Nordlichter ihr Gastspiel geben. Und erst recht im Winter, der an die Arktis erinnert mit seinen Schneebergen, zur Huskytour lädt und mit farbenfrohen Himmelsstimmungen verzaubert, denn zwischen Sonnenauf- und -untergang liegen nur wenige Stunden.

Der Raftsund schweigt, als sich der Trollfjord öffnet. Die Bäume tragen ihr feuriges Gewand – ein letzter Hinweis, bevor der Herbst sein Geheimnis preisgibt.
Entspannt über den Polarkreis
Nun sind namhafte Detektive aus aller Welt der Hurtigrute auf die Schliche gekommen. Sie orten die heimliche Droge in der Entschleunigung. Norwegens Naturküste bei einer Geschwindigkeit von 15 Knoten pro Stunde vom Wasser aus zu erleben und die stets wechselnden Landschaften mit Fjorden, Felsen, Inseln, Dörfchen und Klippen an sich vorbeiziehen zu lassen, bringe ein Lebensgefühl zurück, das viele Menschen im hektischen Alltag vermissen. Das Schaukeln der Wellen, der weite Himmel und der magische Augenblick, wenn das frühere Postschiff den Polarkreis überquert, berge ein Suchtpotenzial. Dabei könne man jedoch nicht von Manipulation sprechen.

Der Raftsund liegt gefroren, als hätte der Winter alle Spuren ausgelöscht. Zwischen den schneebedeckten Hängen lauert Stille – und ein Geheimnis, das niemand verrät. | Björn Rasch, Hurtigruten
Einmal Hurtigrute, immer Hurtigrute
Inzwischen wird bereits die Frage verhandelt, ob die Hurtigrute für ihr Suchtpotenzial überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden könne. „Dass Menschen dieses einmalige Erlebnis immer wieder suchen, liegt in der Natur der Sache“, sagt die Strafrechtsprofessorin Nor Wegenküste und ruft dazu auf, den Verdacht fallenzulassen. Und was ist mit den ahnungslosen Gästen? Da genüge gemäss der Expertin ein einfaches Warnschild: „Achtung: Einmal Hurtigrute, immer Hurtigrute!“


