Angst vor der Inflation, zu Recht?

Eine bald steigende Inflationsrate. Vorläufig ist es noch ein Gespenst, ein Gespenst, das aber bald Realität werden könnte und vor dem sich die Anleger zu Recht fürchten. Denn wirklich schützen kann er sich kaum.

Von Fredy Gilgen

Für Anleger ist es in der Tat ein höchst unappetitlicher Cocktail: Steigende Zinsen und anziehende Inflationsraten. Es ist zudem ein Marktumfeld, das zahlreiche Anleger nur noch aus der grauen Theorie kennen. Denn seit den frühen Achtzigerjahren sind die Marktzinsen praktisch nur noch gesunken und die Teuerung ist seit Langem extrem niedrig. Immer wieder sprechen die Ökonomen deshalb eher von einer Deflations- als von einer Inflationsgefahr. Doch in den letzten beiden Jahren sind die Anzeichen häufiger geworden, dass sich die Ära der Tiefstzinsen langsam dem Ende zuneigt. In den USA rentierten zehnjährige Staatsanleihen in den vergangenen Wochen häufig über 2,9 Prozent und notierten damit auf dem höchsten Stand seit ­Januar 2014.

Gewiss: Nicht auf jedes Wetterleuchten folgt ein Gewitter und bei weitem nicht alle Anlagestrategen rechnen mit bald deutlich steigenden Inflationsraten in den grossen Industrieländern. Nach Ansicht von Christian Gattiker, Leiter Research bei der Bank Julius Bär, sind die Inflationsraten in den letzten Jahren ständig überschätzt worden. „Wenn es überhaupt zum Anstieg der Teuerung gekommen ist, waren dafür schwankungsanfällige Preise, wie jene für Energie und Nahrungsmittel verantwortlich. Von der Lohnseite her, gab und gibt es dagegen keine Anzeichen, die für eine einen deutlichen Anstieg der Inflation sprechen würde. Und selbst wenn, die Teuerungsraten nun anziehen würden, müsste man eher von einer Normalisierung sprechen. Dies nach Jahren der Deflation“. Noch weit und breit keine Inflationsgefahr sieht ebenfalls Brivio Santosh, Anlagestratege der Raiffeisen Schweiz. Er prognostiziert für das laufende Jahr in der Schweiz eine moderate Teuerungsrate von 1,0 Prozent. Und 2019 werde diese Rate bereits wieder leicht auf 0,8 Prozent sinken. Dies vor allem wegen der tieferen Energiepreise und der neuerlichen Aufwertung des Schweizer Frankens.

Kaufkraft schwindet rasch

Doch selbst, wenn das Gros der Experten, noch kein akutes Inflationsrisiko ausmachen kann, es ist gewiss keine schlechte Idee, sich schon heute zu überlegen, wie man einer solchen Gefahr begegnen könnte. Denn ein unerwarteter Teuerungsschub hätte spürbare Auswirkungen auf die Vermögenswerte. Kommt die Teuerung längerfristig nur schon bei 2 Prozent zu liegen – was die Notenbanken nota bene als Preisstabilität definieren – halbiert sich der die Kaufkraft und auch ein nomineller Vermögenswert innerhalb von 34 Jahren. Steigt die Teuerung sogar auf 4 Prozent, dauerte es bis zur Halbierung der Vermögenswerte gar nur 17 Jahre.

Es macht durchaus Sinn, schon jetzt nach möglichen schützenden Häfen Ausschau zu halten. Hat die Inflation nämlich bereits angezogen, ist es für eine Absicherung zu spät oder zu teuer. Man kann auch keine Brandschutzversicherung abschliessen, wenn das Haus schon brennt.

Doch was tun? Laut Anthony Doyle, Anlageexperte des Londoner Assetmanagers M&G, zeigen wissenschaftliche Studien, dass keines der traditionellen Anlageinstrumente einen effektiven und umfassenden Schutz vor der Inflation bietet. Sowohl normale Anleihen, wie auch Aktien oder Immobilien kommen nominal und real unter Druck, wenn die Inflationsrate unvermittelt steigt. Dies zumindest kurzfristig. Und die Flucht in Bares, die bei tiefen und negativen Zinsen ein sinnvolles Vorgehen war und ist, schützt nicht oder nur ungenügend vor realen Werteinbussen.

Besonders stark leiden in Phasen steigender Teuerungsraten aber jeweils festverzinsliche Anlagen, insbesondere langlaufende Obligationen. Nicht nur in Extremfällen kann hier sogar eine negative Realverzinsung resultieren. Das ist dann der Fall, wenn die Inflationsrate höher ausfällt als die Verzinsung der Obligation. Auch Aktienmärke geraten bei unvermittelt steigenden Zinsen und Inflationsraten zunächst unter Druck. Betroffen sind jeweils vor alle zyklische Aktien. Bei den Immobilien hängt es nach Christian Gattiker vor allem vom Tempo des Zinsanstiegs ab: „Wenn dieser moderat verläuft und eine höhere Kaufkraft der Treiber ist, können sich Immobilien durchaus vielversprechend entwickeln oder mindestens eine positive Rendite generieren“.

Ähnliches gilt für Aktien, sind viele Anlageexperten überzeugt, insbesondere für Aktien von klein- und mittelgrossen Unternehmen. Zudem bieten Titel von Marktleadern mit grosser Preissetzungsmacht einen gewissen Schutz vor der anziehenden Teuerung.

Aktien schlagen Gold um Längen

Traditionell gilt Gold als besonders guter Inflationsschutz. Sehr langfristig war dies in der Tat sehr oft der Fall. In jüngster Zeit hat dieser Schutz aber nicht immer gegriffen: „Der Goldpreis wird in erster Linie durch den US-Dollar. und das reale Zinsniveau bestimmt. Entwickeln sich diese beiden Faktoren zuungunsten des Goldes, kann sich der Goldpreis trotz steigendem Preisniveau seitwärts oder sogar abwärts bewegen und somit keine inflationsschützende Wirkung entfalten“, sagt Raiffeisen-Experte Brivio Santosh.

Im Vergleich zu den Aktien sieht Gold auch in den letzten 40 Jahren nicht sehr vorteilhaft aus. Denn seit dem Beginn der grossen Inflation in den USA vor 40 Jahren brachte das gelbe Metall eine jährliche Realrendite von gerademal 1,4 Prozent. Im selben Zeitraum erzielte ein Welt-Aktien-Index eine Realrendite von 6,4 Prozent jährlich.

Bei den Rohstoffen ist es nach der M&G-Studie genau umgekehrt als bei Aktien und Gold. Sie profitieren schon auf kurze Sicht von einem Inflationsanstieg. Nach rund zwei Jahren verflüchtigen sich die anfänglichen Zugewinne aber wieder.

ILB: Nützlich, aber kein Allheilmittel

Während aber all diese Anlageinstrumente nur bedingt oder mit Verzögerung gegen einen Teuerungsanstieg schützen, kann man sich auf die inflationsgebundene Anleihe, zu neudeutsch Inflation Linked Bond (ILB) genannt, sofort verlassen. Sie bietet einen garantierten und unmittelbaren Inflationsschutz, da sie neben einem fixen Coupon eine Abgeltung der effektiv eingetretenen Inflation beinhaltet. Dies geschieht in der Regel durch die Anpassung des Nennwerts der Anleihe. Liegt die Teuerung in einem Jahr beispielsweise bei 3 Prozent, so wird der Nennwert der Anleihe um 3 Prozent erhöht. Dadurch bleibt die Kaufkraft des Kapitals erhalten. Ein weiterer Vorteil dieses Anlageinstrumentes: Der Anleger kennt die reale Rendite bereits im Vornherein. Sowohl der Anleihenspreis als auch die Couponzahlungen sind darauf ausgerichtet, der Inflationsentwicklung seit der Emission Rechnung zu tragen. Die Kaufkraft der Anleihensauszahlung ist also zu keinem Zeitpunkt gefährdet.

Der Pferdefuss dieses Instruments: ILB schützen zwar wirksam vor der Inflation, sie bieten jedoch keinen Kapitalschutz. Sie sind Zinsänderungs- und Kreditrisiken also genauso ausgesetzt wie nominale Anleihen. Aufgrund der typischerweise langen Laufzeit ist die Zinssensitivität der ILB sogar höher. Die Gewinne aus einem Anstieg der Inflation können daher geringer ausfallen, als die Kursverluste in Folge des Zinsanstiegs. Anleger sollten deshalb auf kürzere Laufzeiten setzen, raten Anlageexperten. Ausserdem empfehle es sich, Währungsrisiken gegenüber der Heimwährung abzusichern.

Fazit: Wer mittel- und langfristig denkt hält auch bei steigen Inflationsrisiken an Aktien und Immobilien fest. Kurzfristige Kursverluste werden später mehr als wettgemacht. Wer schon kurzfristig Wertverluste eindämmen will, setzt auf inflationsgeschützte Bonds mit kurzer Laufzeit und auf Rohstoffe.

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