Paare müssen in die Dauerhaftigkeit ihrer Liebe investieren

Paare müssen in die Dauerhaftigkeit ihrer Liebe investieren

 

Paare, die schon eine längere Zeitstrecke miteinander zurückgelegt haben, machen die Erfahrung, dass sich das Zusammenleben im Laufe der Zeit verändert.

Von Juli Onken, Autorin und Gründerin Frauenseminar Bodensee

Nach vielen gemeinsamen Jahren ist man mehr oder weniger gut aufeinander eingespielt – was von den einen als angenehm empfunden, von anderen hingegen eher als mühsam oder gar als langweilig erlebt wird. Es mag sein, dass sich in den späteren Jahren der Alltag etwas gemächlicher abspielt, die anstrengende Elternzeit entlässt viele aus Betreuungsaufgaben, die heranwachsenden Kinder machen sich zum Abflug aus dem elterlichen Nest bereit oder sind schon ausgeflogen. Auch im Beruf wird etwas kürzer getreten, man denkt vielleicht bereits darüber nach, wie der nahende Ruhestand zu gestalten wäre. So wird der Pflichtenkatalog allmählich weniger dicht. Vielleicht wird dies als neue Freiheit empfunden, es werden Pläne geschmiedet und Reisevorhaben ins Auge gefasst.

Vielleicht aber melden sich auch wehmütige Gedanken, schliesslich geht es um den Abschied von einer Lebensphase. Vorher war man eine Familie mit mehreren Personen, die Tischgespräche waren lebendig und interessant. Und nun sitzt man sich plötzlich zu zweit gegenüber und gelegentlich kommt einem sogar der Gesprächsstoff abhanden. Und noch etwas verändert sich: Bei vielen Paaren kühlt sich das leidenschaftliche Begehren etwas ab, der Hormonhaushalt drängt nicht ständig nach Befriedigung, körperliche Berührungen werden seltener.

Was nun? Kann man dem Lauf der Zeit und all seinen Veränderungen ein Schnippchen schlagen? Angebote gibt es zuhauf, die neue Jugendlichkeit und sexuelle Attraktivität versprechen. Die Aushängeschilder dieses Trends schrecken indessen eher ab, als dass sie zur Nachahmung verführen würden. Im Übrigen ist es gerade in der Paarbeziehung schwierig, irgendwelche Täuschungsmanöver auf Dauer zu tarnen. Jeder Schwindel ist im Grunde ein Versuch, auf eine falsche Fährte zu locken – nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst.

Als Paar überleben

Wenn zwei Menschen als Paar überleben wollen, gehört Wahrhaftigkeit als ethische Grundhaltung zur Basisausstattung – wie etwa für die Besteigung eines Berges eine solide Ausrüstung erforderlich ist. Das Kernstück jeder Beziehung ist die Liebe. Manchen Paaren gelingt es, die gegenseitig intensiv empfundene Liebe ein Leben lang zu bewahren. Bei anderen dagegen schleicht sich die Liebe davon, manchmal lautstark oder aber beinah unmerklich, auf leisen Sohlen. Und erst, wenn sie nicht mehr da ist, wird das Verschwinden der Liebe als schmerzlicher Mangel empfunden. Viele Menschen gehen davon aus, es gehöre eine grosse Portion Glück dazu, um als Liebespaar durchs Leben gehen zu können.

Zur Partnerschaft gehört auch, Konflikte auszudiskutieren und sie zu bewältigen.

Zur Partnerschaft gehört auch, Konflikte auszudiskutieren und sie zu bewältigen.

 

Das ist zwar richtig, gleichzeitig aber auch falsch. Die Liebe folgt nämlich bestimmten Gesetzmässigkeiten. Wer diese kennt, braucht nicht Glück, sondern die Einsicht, dass solche Grundregeln nützlich sind. Von Glück reden können wir allerdings dann, wenn auch der männliche oder weibliche Liebespartner daran interessiert ist, in die Dauerhaftigkeit der Liebe einiges zu investieren und sich um Grundbedingungen aktiv zu kümmern. Eine Liebesbeziehung ist eben nicht einfach nur eine vergnügliche Spielwiese mit verschiedenen Spassangeboten, sondern sie ist manchmal mit einem anspruchsvollen Arbeitsplatz vergleichbar.

Der Liebe eine Chance geben

Die erste Verliebtheit bekommen wir geschenkt, sie überfällt uns, setzt die Urteilsfähigkeit ausser Kraft – was übrigens eine geniale Erfindung der Schöpfung ist. Wären wir bei vollem Verstand und würden wir gar am Schreibtisch sorgfältig das erwünschte Partnerprofil errechnen, zögen wir wahrscheinlich unverzüglich die Bremse an. So aber lassen wir uns auf das grösste Wagnis ein, auf die möglicherweise schmerzlichste Lektion, die das Leben zu bieten hat: auf die Liebe. Und bevor wir uns richtig besinnen können, landen wir in einer Art Kelter, die unsere Verliebtheit so lange bearbeitet, bis das Destillat Liebe herausgefiltert wird. Dieser komplexe Vorgang fördert auch so etwas wie ein Lernprogramm zutage. Wir lernen, dass es Verhaltensweisen und Handlungen gibt, die Liebesgefühle verunmöglichen, ja sich unter Umständen ins Gegenteil, in Ablehnung und sogar Hass, verwandeln.

Die häufigsten Beziehungsfallen sind unspektakulär, sie treten beiläufig auf und nisten sich oft geschickt maskiert in Beziehungen ein. Eine solche Falle ist der Versuch, den Menschen, mit dem man zusammenlebt, verändern zu wollen und nach eigenen Vorstellungen zurechtzubiegen. Insbesondere Frauen sind wahre Meisterinnen, wenn es darum geht, für den Partner ein Nacherziehungsprogramm zu erfinden. Da sich aber die meisten nur dann verändern, wenn sie das selbst als anstrebenswert erachten, ist der Versuch in der Regel zum Scheitern verurteilt. Dann aber macht manche Frau beispielsweise den Denkfehler, die mangelnde Veränderungsbereitschaft des Partners sei der Beweis für einen Mangel an Liebe. Der verhängnisvolle Satz «Würdest du mich wirklich lieben, wüsstest du was ich fühle und was ich wünsche» zeigt deutlich die falsche Verknüpfung von Liebe und Liebesbeweis. Ständige Anpassungsbereitschaft an die Wünsche des Partners, der Partnerin ist noch lange kein Liebesbeweis.

Wer sich zwanghaft unterordnet und anpasst, wird sich selber untreu, begeht Verrat an sich selbst und verliert schliesslich den Kontakt zur eigenen Persönlichkeit. Die Quittung für ständige Anpassungsleistungen zeigt sich erst später, wenn Paare in die Jahre kommen. Wer ständig Opfer erbracht hat, möchte wenigstens annähernd entschädigt werden – oder sucht sich selbst einen Ausgleich. Eine eigentliche Katastrophe ist jedoch die schmerzliche Erfahrung, erst dann geliebt zu werden, wenn man die Wünsche und Vorstellungen des Partners erfüllt. Das heisst doch: «So, wie ich bin, bin ich nicht in Ordnung.» Die Folgen dieses in sich gestörten Grundgefühls zeigen sich oft in späteren Jahren, denn jeder Mensch braucht Anerkennung, Wertschätzung und Akzeptanz.

Es sind dies Ingredienzen, die zum Gefühl gehören, man werde rundum geliebt. Wenn wir verliebt sind, sind die Gefühlsspeicher randvoll, unbekümmert zehren wir vom Vorrat. Wird der Speicher aber nicht immer wieder neu nachgefüllt, landen wir irgendwann auf dem harten Boden der Enttäuschung. Das Bedürfnis nach einem wertschätzenden Blick, einem anerkennenden Wort, einer liebevollen Berührung bleibt nämlich immer vorhanden – und wird wohl bis zum letzten Tag erhalten bleiben. Wer sich nicht mehr geliebt fühlt, verschliesst sich, wird distanziert, die Herzkanäle verengen sich. Da, wo einst ein warmer Strom der Zuneigung floss, sucht ein jämmerliches Beziehungsrinnsal seinen Weg. Vielleicht ist man noch bemüht, irgendwie freundliche, aber belanglose Worte aneinander zu richten. Aber das, was uns einst verband, lebt nur noch in der Erinnerung.

Gemeinsame Aktivitäten stärken das Verhältnis.

Gemeinsame Aktivitäten stärken das Verhältnis.

Nun ist aber der Mensch grundsätzlich ein lernendes Universum und deshalb stehen alle Möglichkeiten offen. Der erste Schritt besteht in der Einsicht, dass Beziehungen gepflegt werden wollen, sonst verkümmern sie. Das beste Pflegemittel für die Partnerschaft ist das Gespräch. Damit ist nicht der Austausch über Sportergebnisse und die mühsamen Nachbarn gemeint, sondern über das, was wir erleben, was uns erfreut, über was wir nachdenken und auch was uns Sorgen macht. Gerade mit dem Älterwerden gibt es viele Themen, die wir miteinander besprechen können, schliesslich durchlaufen wir verschiedene Phasen, die uns zu Veränderungen aller Art herausfordern. Oft wissen wir herzlich wenig voneinander, wie es uns dabei geht, aber wenn wir uns gegenseitig in Gesprächen anvertrauen, können Liebesgefühle von einst wieder aufblühen wie eine etwas vernachlässigte Pflanze, die wieder regelmässig mit Wasser begossen und an einen sonnigen Platz gerückt wird. Der zweite Schritt besteht in der Umsetzung, bedeutet bewusst eine Gesprächskultur pflegen zu wollen. Einmal wöchentlich ist eine ungestörte Stunde zu reservieren. Jeder spricht 20 Minuten über das, was ihn bewegt, die ganz persönlichen Anliegen, Ängste, Wünsche dürfen geäus sert werden. Der andere hört zu, und zwar ohne zu kommentieren, zu kritisieren oder zu bagatellisieren. Einfach zuhören, zu verstehen versuchen. Dann wechseln die Rollen. Während der dritten 20 Minuten tauschen wir uns über das Gehörte aus.

Ein Bereich sorgt immer wieder für Unruhe: die Sexualität. Hat denn tatsächlich alles seine Zeit? Die Meinungen gehen auseinander. Die einen gehen davon aus, zu einem glücklichen Leben gehöre die Praxis sexueller Aktivitäten unabdingbar dazu. Andere erleben eher eine Beruhigung: «Wie angenehm, nicht jedem Rock hinterherhecheln zu müssen», meinte ein 60-Jähriger. Soviel wird klar: sexuelle Bedürfnisse sind individuell – aber das waren sie doch auch in jungen Jahren. Der grösste Irrtum besteht wohl in der Annahme, die Frequenz sexuell operativer Betätigung sage etwas aus über die Qualität einer Liebesbeziehung. Entscheidend ist aber viel mehr die Frage, wie viel Intimität ein Paar miteinander erleben kann, wie viel seelische Nähe und Verbundenheit man füreinander empfindet. Zudem gibt es eine breite Palette sinnlicher Erfahrungsbereiche, die uns miteinander in Beziehung bringen und uns innerlich berühren. Es gibt eben Paare, die im Laufe des Zusammenlebens zu Freunden geworden sind, die füreinander da sind, sich gegenseitig in allem begleiten, die sich rundum wohlwollend verbunden fühlen. Es sind Menschen, die gelernt haben, den Partner oder die Partnerin zu lieben, sie sind Liebende geworden. So gesehen, müssen sie eben nicht mehr «Liebe machen», weil sie ja in ihrem ganzen Wesen dem Partner liebend verbunden sind. Wenn Paare mit den Jahren sich innig freundschaftlich verbunden fühlen, ist dies wohl das Qualitätslabel schlechthin – ob mit oder ohne Sexualität.

Lieben will gelernt sein. Die langjährige Partnerschaft bietet immer wieder erstklassigen Lehrstoff – auch wenn die eine oder andere Lektion etwas schwierig ist oder sich zu einem ungelegenen Zeitpunkt aufdrängt.

Und wer nun etwas für eine gemeinsame Aktivität sucht, hier zum Beispiel ein paar Wanderungen.

Dieser Bericht ist in der Dezember Ausgabe m 50plus Magazin erschienen.