Crèmetorten oder das Ende der Völlerei

Max schaute zu Lucie. Und was er sah, wollte ihm nicht gefallen. Lucie packte eben das dritte Stück Crèmetorte. Sie zog es so gierig rein, wie der neue Hoover den Dreck vom Boden. Dann faltete Lucie die Hände über dem beachtlichen Bauch – sie hatte diese genüssliche Zufriedenheit eines dahinträumenden Buddhas.

„Mein Gott“, dachte Max, „sie ist im Stande und knallt sich auch noch ein viertes Stück rein…“

Als er Lucie vor über 30 Jahren in der Uni-Mensa zum ersten Mal gesehen hatte war er von ihren Rundungen fasziniert gewesen. Das war nicht das Alltags-Knochenmodell in Jeans und Shirt. Hier gab’s Fleisch. Prall und wunderbar. Die Üppigkeit füllte einen blumigen Sommerrock. Das Ganze war eine Art Dirndl. Und all dies, was Max unter den Kommilitonen in frivolen Liedern als „Holz vor dem Haus“ besang, war stramm hochgebunden.

Die rosigen Baseball-Kugeln brachten den jungen Studenten ins Stottern: „Darf ich dich zu einem Saft einladen…“

Lucies sonniges Strahlen, ihr sonores Lachen faszinierten ihn: „Ein Saft? Ich bin eher der heisse Schokoladen-Typ!“.

Es hätte ihn vorwarnen sollen. Aber man weiss: wenn das Testosteron kocht, liegt der Verstand auf Eis. Sie wurden ein Paar – er, eine Grösse in der Chemieforschung. Sie – eine extra grosse Grösse in der Damenkonfektion. Als dort ihr dreifaches XXXL nicht mehr aufzutreiben war, schneiderte sich Lucie ihre „Hängerchen“ selber: stark gerüschte Sackkleider, die ihre Rundungen so geschickt zudeckten, wie der Lampenschirm das grelle Licht.

„Lucie – das geht nicht so weiter“, sagte nun Max leise. „Du musst etwas tun…deiner Gesundheit wegen“

Er versicherte ihr seine Liebe. Sie weinte – ging dann aber doch zum Arzt. Im Spital legte man sie vier Wochen ins Bett. Und auf Schmaldiät. Dann kam die Magenklammer. Und: adieu Crèmetorte. Lucies Pfunde schmolzen weg – ihre Fröhlichkeit ebenfalls. Früher hatte sie jeweils mit ihrem Witz die Runde unterhalten – jetzt trug sie Konfektionsgrösse 42. Ihr Humor war noch magerer geworden. Nach einem halben Jahr hatte Lucie das Gewicht erreicht, das ihr die Ärzte vorgegeben hatten. Das übriggebliebene Fleisch, das müde an ihr herumrunzelte wurde in mehreren chirurgischen Eingriffen gestrafft. Sie war jetzt wie jede andere auch – und hätte glücklich sein dürfen.

Doch ihr Strahlen war erloschen. Nach drei Bissen leicht Verdaulichem kam Lucie bereits ins Schwitzen. Und musste passen. Die Klammer hielt sie eisern im Griff. Lucie schluckte nun Gemütsaufheller – und schluckte leer, wenn sie in einer Konditorei eine Crèmetorte sah. Manchmal liess sie sich einen der Kuchen einpacken. Und kaute drei Minuten lang an der kandierten Kirsche. Für 180 Sekunden war sie wieder glücklich.

Max hooverte die Hälfte der Torte rein – die andere Hälfte bekam die Zugehfrau. Diese zeigte dann das strahlende Lächeln, das Lucie verloren gegangen war. Als Max seine Frau am Esstisch fand, war da auch eine Crèmetorte. Daneben lagen die Gemütsaufheller. Die Ärzte diagnostizierten „Herzstillstand“.

Max weinte.

 

Nur die Zugehfrau freute sich über die ganze Crèmetorte auf der nur eine einzige kandierte Kirsche fehlte. Immerhin war Lucie noch 3 Minuten glücklich gewesen.