Haben Sie Lust auf eine kleine Wette? Dann stellen Sie sich mal am Ausgang des Zoologischen Gartens von Basel hin und stellen Sie den Besucherinnen und Besuchern, die hier herauskommen, folgende Frage: «Haben Sie das Teichhuhn gesehen? Und wie hat es Ihnen gefallen?»

VON URS HEINZ AERNI

Ich wette mit Ihnen, dass vielleicht ein Mensch von hundert antworten wird: «Ja, das habe ich gesehen, so zierlich und elegant beim Gehen.» Die anderen 99 werden Sie mit grossen Augen ansehen und mit den Schultern zucken oder den Kopf schütteln. Gehen Sie mit mir die Wette ein?

Unscheinbar

Dieses Tier schafft es, sich unter dem Aufmerksamkeitsradar der allgemeinen Öffentlichkeit zu bewegen, nicht nur im Zoo. An der Limmat, vor dem Wehr Dietikon im Kanton Zürich, ist an Sommerabenden oder am Wochenende immer viel los. Auf dem Spielplatz kreischen die Kinder auf den Schaukeln, über dem Wasser die Lachmöwen im Versuch, die Brothäppchen zu erwischen, die die Eltern ihnen entgegenwerfen. Schwäne wackeln bettelnd dem alten Paar auf der Sitzbank zu oder fauchen den Buben an, der ihnen zu nahekommt. Stockenten-Erpel balzen schwadernd dergestalt, dass die Weibchen am liebten Reissaus nehmen und die Augen ob den Machos verdrehen, wenn sie es könnten. Haussperlinge picken die Reste der Imbisse am Ufer auf und werden von den «Taucherlis» verscheucht, respektive von Blässhühnern. Doch sehen Sie genauer hin, zwischen all den genannten auffälligen Arten hindurch. Sehen Sie es, das etwa taubengrosse und schieferschwarze Hühnchen mit rotem Schnabel, dessen Spitze ins Gelbliche geht?

Scheinromantik

Das dezente und scheue Hühnchen hat eigentlich keine grossen Ansprüche, was seinen Lebensraum anbelangt. Hauptsache Gewässer, stehend oder nicht allzu schnell fliessend mit Versteckmöglichkeiten. Es darf auch gerne mitten in der Stadt sein und es wurde schon bis über tausend Meter über Meer gesichtet. Nehmen wir mal an, Sie flanieren am oberen Zürichsee von Rapperswil am Knie-Kinderzoo vorbei Richtung Eishockeyhalle und Yachthafen und sehen vielleicht gleich fünf bis zehn Teichhühner auf dem Rasen grasen, dann können Sie sicher sein, dass gerade Verschnaufpause zwischen den Brutsaisons stattfindet.

Sobald wieder an Familiennachwuchs gedacht werden muss, lösen sich die Trupps wieder auf, um pärchenweise nach Nestmöglichkeiten in der Ufervegetation zu suchen. Gerne halten sich harmoniefreundliche Zeitgenossen an die Mär von lebenslanger Treue bei den Tieren. Unter uns: Das ist fast nie bis ganz selten der Fall. Die Partnerschaft bei den Teichhühnern taugt für eine Brutsaison, dann werden die Karten neu gemischt, im Sinne der Mischung des Genpools. Und auch hier; fast immer entscheidet das Weibchen, wen es an sich ranlässt. Doch romantisch ist es halt schon, wenn sich die Verliebten gegenseitig das Gefieder pflegen, Futter reichen oder dem anderen zeigen, dass es in der Lage ist, ein Nest zu bauen. Wenn wir schon beim rührenden Punkt sind: Es kommt vor, dass die Jungen mithelfen, die Nachgeborenen im zweiten Nest zu füttern. Dieser Geschwister-Service ist nur unter optimalen Bedingungen möglich, also wenn die Eltern es schaffen pro Jahr zweimal zu brüten.

Kampfansage

Apropos Harmonie und so. Auffallend sind die sehr langen Zehen, sehr nützlich, um über liegendes Röhricht oder Seerosenblätter zu stolzieren und wenn es sein muss auch als Kampfmittel einsetzbar. Unzimperlich darf man die Kampftechnik bezeichnen, wie sie sich gegenseitig die Krallen entgegenstrecken und zuschlagen, mit aufgerichtetem und leicht nach hinten geneigtem Körper, wird nach vorne gestrampelt und ausgeschlagen, was das Zeug hält. Dem Hobbyfilmer Peter Ertl gelangen Aufnahmen in der Region Basel, eines Kampfes mit gleich drei Teichhühnern, zu sehen im Web. Statt Fetzen fliegen Daunen und Federn.

Diese Rabiatheit hat zudem einen überlebenswichtigen Grund. Wenn die abgenutzten Federn durch neue ersetzt werden müssen, was als Mauser bezeichnet wird, werden die Tiere bis zu drei Wochen flugunfähig. Da flatternde und fliegende Flucht nicht möglich ist, werden sie angreifbar. Dann sind die langen Krallen das letzte Mittel, um einem Störefried den Tarif durchzugeben. Dann wird das zierliche Teichhühnchen mit seiner «siegellackroten Stirn», wie es schon der Tierforscher Hermann Löns im 19. Jahrhundert beschrieb, zum angriffslustigen Huhn. Das gilt auch für Möwen, die es wagen sollten, zu nahe zu kommen.

Zurück zum Zoo Basel am Ausgangstor. Es kann ja sein, dass unsere Aktion mit dem Hinweis auf das Teichhuhn bewirkt, dass die Leute gleich wieder dem Eingang zusteuern, mit der Absicht, ein unscheinbares und hübsches Tier im grossen zoologischen Garten zu entdecken, das freiwillig da drin leben möchte und die Nähe zu Nashörnern oder Flusspferden sucht.