Auch wenn man sich besonders im Umgang mit älteren oder kranken Angehörigen oder Freunden/Bekannten der Präsenz des Todes bewusst ist: Nie hätten wir gedacht, dass wir uns tagtäglich und in so Besorgnis erregendem Masse mit dem Tod würden auseinandersetzen müssen. Für Schwester Elisabeth (Müggler) ist der Tod kein Angstthema. Sie hat eine Organisation gegründet, die Sterbende bis zum letzten Atemzug begleitet.

VON DÖRTE WELTI

Schwester Elisabeth, Initiantin des Vereins wabe Limmattal. Auch sie trifft die Corona-Krise: Momentan sind alle Begleitungen abgesagt, weil die meisten Begleiterinnen über 65 Jahre alt sind. Schwester Elisabeth ist jedoch mit allen Angehörigen in Kontakt und würde in Akutsituationen «sicher doch helfen», wie sie sagt.

Schwester Elisabeth lädt mich zu sich nach Hause ein, ihre Adresse ist nahe bei der Adresse des Vereins wabe Limmattal. Wabe steht für Wachen und Begleiten, nota bene von Kranken und Sterbenden. Ich klingle bei dem modernen Mehrfamilienhaus in Schlieren, Zürich, Schwester Elisabeths Wohnung liegt im ersten Stock. Sie öffnet mir mit strahlendem, gütigen Blick und bittet mich hinein an den Esstisch. Die Wohnung ist grosszügig geschnitten, hat klare Linien, ein wenig 70er-Jahre Stil, die Wände sind mit christlichen Motiven und Objekten dekoriert. Schwester Elisabeth nimmt mir gegenüber Platz, auf dem Tisch hat sie fein säuberlich Unterlagen aufgereiht, die wir im Laufe des Gesprächs brauchen könnten, hinter ihr an der Wand ein Sammelsurium an kleinen Weihwassergefässen. «Ich habe mir von überall auf der Welt solche Gefässe mitgebracht», erklärt Schwester Elisabeth, «die Leute haben davon erfahren und mir dann noch sehr viele geschenkt, weil sie mir eine Freude machen und meine Sammlung bereichern wollten. Aber jetzt ist die Wand voll, mehr haben keinen Platz!»

Die Menschen, die es immer gut mir ihr meinen, bedeuten Schwester Elisabeth viel, noch mehr aber bedeutet der knapp 80-jährigen Schwester der Gemeinschaft der «Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz», einer Gemeinschaft, die nach der Tradition des heiligen Franz von Assisi lebt, ihre Arbeit für die Kranken und Sterbenden. Wieso lebt sie eigentlich nicht in einem Kloster wie alle anderen Ordensschwestern auch? «Ich bin die einzige Nonne, die im Limmattal frei herumläuft», witzelt Schwester Elisabeth, man sei als Ordensschwester schliesslich nicht eingesperrt. Aber die Regel ist ein Leben im Kloster, schon aus finanziellen und logistisch/ideellen Gründen. Zu den Aufgaben aller Orden und Ordensschwestern gehört grundsätzlich das Sorgetragen und Beten für Kranke und Sterbende dazu. Es war 2001, als Schwester Elisabeth in der Altersseelsorge der katholischen Kirche Schlieren arbeitete und ein ökumenischer Themenabend zum Begriff Tod stattfand, an dem sich vor allem eine Frage von den Besuchern herauskristallisierte: Wer hilft uns, wenn mehr Leute zuhause sterben wollen? Viele Menschen versöhnen sich im Alter mit dem Gedanken an den Tod, aber die Vorstellung, in einem Spital oder einem Pflegeheim sterben zu müssen, wenn es zu Ende geht, und nicht daheim in liebevoller Umgebung zu sein, diese Vorstellung verunsichert die meisten.

Schwester Elisabeth liessen diese Fragen damals nicht los. Sie begann, mit einer Mitarbeiterin ein Projekt zu entwerfen und recherchierte als erstes, welche Angebote es überhaupt gab, wenn Menschen zuhause sterben wollten und wie ihnen bis dato geholfen wurde. In der Ostschweiz gab es damals beispielsweise schon den Palliativen Brückendienst, der für Krebspatienten und andere Schwerkranke Pflege und Betreuung anbietet. Sie forschte weiter im Internet, fand ein paar mehr Angebote, machte sich schlau, wie die arbeiten. Und setzt um, was sie seit sie denken kann, gelernt hat: Zusammenarbeiten, auch mit allen Stimmen aller Religionen. «Viel Wissen ist damals zu mir gekommen», erinnert sich Schwester Elisabeth an die «Geburt» von wabe, «2003 haben wir dann unseren öffentlich rechtlichen Verein gegründet».

Die Gründung war kaum erfolgt, da meldete sich bereits der erste Fall, das Angebot sprach sich schnell herum. «Ich konnte das natürlich nicht alleine bewerkstelligen, und habe von Anfang an Betreuerinnen und Betreuer gesucht, die dem Verein helfen wollen», erklärt Schwester Elisabeth. 14 Menschen, die die Betreuung übernehmen wollten, meldeten sich sofort. Konnten die so einfach stante pede zu Kranken und Sterbenden gehen? «Nein», sagt Schwester Elisabeth, «aber damals gab es noch das Theodosianum, die Pflegefachschule für Schwestern. Ich habe dort gelehrt und öffentliches Pflegepersonal und auch unsere ersten Betreuerinnen und Betreuer angeleitet.» Schwester Elisabeths Stimme wird ein Mu härter, wenn sie davon erzählt, die Schule wurde 2009 geschlossen, «man hat 25 Schulen auf 2 grosse Bildungszentren reduziert», sagt sie und in ihren Augen ist das unverständlich. Wie uns die momentane Situation in der Corona-Krise zeigt ist so eine Massnahme auch absolut unverantwortlich, es bräuchte lokales und für jeden erreichbare Engagement, Pflegepersonal auszubilden, eigentlich jetzt mehr denn je. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ziel des Vereins wabe Limmattal ist: Entlastung von Angehörigen Kranker und Sterbender und die Begleitung des Patienten. Chronisch Kranke können auch betreut werden, wenn die Kapazität des Betreuungsteams das zulässt. Derzeit helfen 33 Frauen und 3 Männer, die meisten sind 55+ Jahre alt, Schwester Elisabeth wünscht sich mehr junge Menschen, die diese Aufgabe übernehmen wollen. «Wir bilden heute innerhalb von 12 Tagen die Betreuerinnen und Betreuer selbst aus», erklärt Schwester Elisabeth das Prozedere, «Jeder ist willkommen, wir haben klare Bedingungen, die wir gemeinsam betrachten und dann über eine Aufnahme entscheiden.»

Der Wunsch, von Seelsorgenden und Pflegekundigen begleitet zu werden, ist natürlich auch bei Menschen mit Demenz ein Thema, bzw für deren Angehörige. «Wir waren circa 5, 6 Jahre bereits aktiv, da kamen die ersten Anfragen, ob wir auch Menschen mit Demenz begleiten würden. Nicht unbedingt sterbende, sondern generell», erinnert sich Schwester Elisabeth und erzählt, wie sie damals Kontakt auch mit der Sonnweid  hatte. Die Betreuung von dementen Personen in Pflegeeinrichtungen erfordere aber eine extra Ausbildung und die sei sündhaft teuer, weiss Schwester Elisabeth. Wabe habe das finanziert, sechs Tage sollte so eine Schulung dauern, jetzt sind es nur noch vier.

Wie genau funktioniert wabe? «Wenn eine Anfrage kommt, gehe ich oder meine Kollegin gemeinsam zu der fragenden Person und wir klären die Situation ab», erklärt Schwester Elisabeth. Es gilt zuerst die Bedürfnisse zu erfassen und ob allenfalls auch mit der Spitex oder anderen Organisationen wie Palliaviva, einer auf palliative Pflege für zuhause spezialisierte Organisation zusammen eine Lösung gefunden werden kann. Dann wird der Einsatz geplant und eine geeignete Betreuungsperson ausgesucht, die die Betreuung übernimmt. Die Dauer ist sehr unterschiedlich, es gibt Betreuerinnen und Betreuer, die bereits seit 5 oder 6 Jahren eine Familie kennen.

Wabe erfüllt ein Grundbedürfnis des Menschen, selbstlos füreinander da zu sein. Der Dienst von wabe kostet die, die ihn in Anspruch nehmen, nichts, der Verein wird durch Spenden finanziert. Zum Glück wächst der Verein, mit 12 Mitgliedern sind sie im Dezember 2003 gestartet, im Jahresbericht von 2018 waren für 2019 schon 478 Mitglieder budgetiert. «Wir haben spendenfreudige Mitglieder und manchmal auch Legate», sagt Schwester Elisabeth dankbar, «Aber mit mehr Geld können wir auch mehr Menschen helfen». Die Ausbildung der Betreuer schlägt zu Buche, die Infrastruktur der Einsatzzentrale, der Lohn der Teilzeit angestellten Sekretärin. Wabe ist logischerweise längst keine One Woman-Show mehr, es braucht Organisation und Administration.

Schwester Elisabeth hat leidenschaftlich erzählt, sie verliert auch dann nicht die Güte in ihren Augen, wenn sie von Missständen in der Priorisierung spricht, warum zum Beispiel eben die Ausbildung von Schwestern so nachteilig und ungünstig organisiert wurde. Sie spricht es nicht aus, aber man kann sich denken, dass es die gewinnorientierte Denke ist, die ihr als Barmherzige Schwester gegen den Strich gehen. Ausbildung von Pflegepersonal ist notwendig und sollte kein auf Gewinn ausgerichteter Wirtschaftszweig sein. Egal, Schwester Elisabeth macht munter weiter, hat zusätzlich den Demenztreff wabe plus organisiert, an dem sich jeden Dienstag demente Personen, die sonst daheim sind und daheim betreut werden, im Gemeinschaftsraum der Genossenschaft, in deren Überbauung Schwester Elisabeth wohnt und die wabe beheimatet ist, treffen. Bzw. wo ihre Angehörigen und pflegenden Personen sie praktisch wie in einem Day Care abgeben können, von 11 bis 17 Uhr, ein Lichtblick für viele, die sich sonst nie Zeit für sich nehmen können.

Schwester Elisabeth ist der personifizierte Lichtblick, geht auch noch persönlich zu Klienten, die sie mal übernommen hat, nur Nachtwache, das schaffe sie nicht mehr, sagt die kleine zierliche Person. Gefragt, ob man sich jemals an das Sterben gewöhnt, schaut sie ein wenig verwundert, wie wenn sie sich diese Frage nie stellt. «Sterben ist ein wichtiger Akt, der zum Leben dazu gehört», sagt Schwester Elisabeth, «Und jedes Sterben ist wieder ein neues Geheimnis. Man denkt schon drüber nach hier und dort, besonders, wenn jemand lange im Sterben liegt. Aber für mich als Ordensfrau geht das Leben ja weiter nach dem Sterben.»

Die wabe ist auch da für Angehörige, die spontan Hilfe brauchen, zusammenzubrechen drohen, nicht mehr weiter wissen. Ich verabschiede mich von Schwester Elisabeth, bewundere im Rausgehen eine Wand an der ganz unterschiedliche aufwändigst gestaltete Breverl, kleine Ikonen hängen, teils gemalt, bestickt, verziert. «Die mache ich selbst», freut sich Schwester Elisabeth über die Wahrnehmung. Ein Leben non stop im Sinne ihres Gelöbnisses.

Verein wabe Limmattal
Urdorferstrasse 100
8952 Schlieren

Tel 079 270 96 08
info@wabe-limmattal.ch
www.wabe-limmattal.ch

Diese Geschichte erschien zuerst auf alzheimer.ch