Ernesto sieht man nicht. Man nimmt ihn höchstens wahr. Und dann vor allem störend, weil er einem mit seiner Arbeit an der Verrichtung eines wichtigen Geschäfts hindert. Ernesto ist ein liebenswürdiger, freundlicher, immer fröhlicher Mann Mitte 30, mit dunklem Teint, muskulösen, tätowierten Oberarmen… Und trotzdem wird er übersehen.

Von Koni Fehr und Peter Michael Wehrli

Mir fiel Ernesto auf, als ich vor anderthalb Jahren in diesem Gebäude zu arbeiten begann. Wie sich später herausstellte, begann Ernesto am gleichen Tag seine Arbeit. Doch während ich vom neuen Arbeitgeber herumgeführt und zum Mittagessen eingeladen wurde, kriegte Ernesto am ersten Tag eine Schürze mit dem Aufdruck «TABAGO – für Ihre Sauberkeit», einen Wagen mit Putzmitteln und Mob und einen Arbeitsplan. Seit diesem Tag zieht er während 6 Tagen pro Woche sein Putzwägelchen durch die Gänge und Stockwerke des Schulungsgebäudes und putzt Schulungsräume und alle Toiletten. Und die sehen zum Teil aus, sage ich Ihnen. Dabei sehe ich nur die Herrentoilette, diejenigen der Damen seien viel schlimmer – heisst es. Doch das ist eine andere Geschichte…

Schon bald fiel mir Ernesto auf und ich grüsste ihn. Auf Deutsch. Das «Gruzi» verriet einen hispanischen Hintergrund. Er spricht nur Spanisch – und genau diese Sprache kann ich nicht. Und trotzdem verstanden wir uns. Irgendwie. Mittlerweile spricht Ernesto einige Brocken Deutsch und ich Spanisch – und zur Not behelfen wir uns mit Italienisch oder mit den Händen, Füssen und der Mimik. Ich weiss, dass Ernesto in der Dominikanischen Republik Marketing studiert hat – hier sehr viel arbeitet, aber sehr, sehr wenig verdient – so, dass es knapp zum Überleben reicht. «Nichts Aussergewöhnliches», werden Sie sagen. Stimmt ja… Was aber aussergewöhnlich ist: Wenn ich ihn frage: «Wie geht es?», kommt als Antwort immer «excelente». Und dann erzählt er von seiner Philosophie, dass man nur «una vida» habe, aber zwei Möglichkeiten: Dieses könne man positiv oder negativ verbringen. Er finde, das Leben sei zu kurz für das Schlechte. Also geht’s ihm immer excelente. Eindrücklich!

Komme ich um 06.45 h ins Büro und fühle mich etwas zerknittert, weil der Infoanlass am Abend davor bis 20:30 h dauerte und ich nur kurz zuhause zum Schlafen war, steht Ernesto schon an seinem Wägeli, putzt die Pissoirs oder so – und sagt, es gehe ihm super.

Nun verlässt er uns. Sein Arm schmerzt chronisch vom vielen Mob-Wischen. Er will nun richtig gut Deutsch lernen und dann eine Lehre beginnen. Er wird es schaffen, denn es geht ihm dabei ja immer excelente. Und positive Menschen werden geschätzt. Und plötzlich auch gesehen!

Wie es mir heute geht, Ernesto? Excelente!

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