Kapital oder Rente – Lieber die Rente in der Hand?

Rente oder Kapital - sollte gut berechnet werden

Wenn es um Zehn- oder gar Hunderttausende von Franken geht, wäre eigentlich sorgfältiges Nachdenken und Handeln unabdingbar. Doch wenn man künftige Pensionäre fragt, ob sie die Rente oder das Kapital bevorzugen, entscheiden sie diese finanziell so bedeutungsvolle Frage oft einfach aus dem Bauch heraus.

VON FREDY GILGEN

Um ein paar Rappen zu sparen, kurvt mancher Automobilist ohne Bedenken einige Kilometer herum, um dann günstiger tanken zu können. Wenn gar 50 oder mehr Franken gespart werden können, sind vielen Schweizern für ihre wöchentlichen Einkäufe auch einige hundert Kilometer und der Weg über die Grenze nicht zu weit.

Wenn es um dagegen um Zehntausende oder sogar Hunderttausende von Franken geht, ist von dieser übereifrigen Rechnerei plötzlich nichts mehr zu bemerken. Rente oder Kapital? Dieser Entscheid ist für die meisten Beschäftigten der wichtigste Geldentscheid ihres Lebens überhaupt. Und einmal gefällt, kann er nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber offensichtlich treffen viele Rentner diesen grundlegenden Entscheid ganz und gar zufällig. Nur so ist zu erklären, dass die Zahl der BVG-Versicherten, die sich das Kapital ganz oder teilweise auszahlen lassen, je nach politischem Umfeld und Börsenlage um bis zu 20 Prozent pro Jahr schwankt. Generell sind die Vorsorgenehmer nach der Finanzkrise risikoscheuer geworden: Die Zahl der Kapitalbezüger sank vor allem im Jahr 2010 massiv.

Rente oder Kapital – frühzeitig entscheiden

 

Seither steigt sie wieder leicht an. «Wegen der stetig sinkenden Umwandlungssätze wird der Kapitalbezug künftig immer in teressanter», erklärt Stefan Thurnherr, Vorsorgeexperte beim VZ Vermögenszentrum. Doch nun mischt sich unvermittelt auch noch die Politik ein. Wenn es nach Bundesrat Alain Berset geht, soll das Geld aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge künftig, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch als Rente und nicht mehr als Kapital bezogen werden können. Mit der Wahlfreiheit wäre es dann im Obligatorium vorbei. Die Behörden möchten so verhindern, dass als Kapital bezogene Vorsorgegelder verschwendet und dass später einfach Ergänzungsleistungen bezogen werden.

In der freien Vorsorge 2b, dem sogenannten Überobligatorium, herrscht gerade der gegenläufige Trend. Weil die Pensionskassen im aktuellen Tiefzinsumfeld immer mehr Mühe bekunden, noch einigermassen attraktive Anlagemöglichkeiten zu finden, versuchen viele, die Versicherten zum Bezug ihrer Guthaben zu animieren. Bei einzelnen Pensionskassen, wie jener von Novartis oder der Credit Suisse, ist der Kapitalbezug für Lohnbestandteile oberhalb einer bestimmten Grenze sogar obligatorisch.

Jeder Zweite wählt die Rente

In der Regel sind aber im Zeitpunkt der Pensionierung weiterhin die klassischen drei Wege für die Verwendung des angehäuften Alterskapitals möglich:

  • Die Umwandlung des gesamten Kapitals in eine lebenslange Rente. Dafür entscheidet sich aktuell jeder zweite Senior.
  • Ein Drittel der Pensionäre wählt bei der obligatorischen und überobligatorischen Säule 2 zusammen den Weg des Finanzmarktkundigen: Nämlich den Bezug des ganzen Kapitals und die Sicherstellung der Rente durch Kapitalverzehr und eine individuelle Anlagestrategie. Ohne Wenn und Aber ist der vollständige Kapitalbezug aber nur für die überobligatorischen PK-Gelder möglich, obligatorische Leistungen (BVG) werden im Normalfall als Rente ausgerichtet. Mindestens ein Viertel der Altersleistung muss jedoch auf Antrag des Versicherungsnehmers heute noch in Kapitalform ausbezahlt werden.
  • Die Übrigen gehen den – oft goldenen – Mittelweg, nämlich den Bezug eines Teils des Kapitals und den Bezug einer lebenslangen tieferen Rente.

Alle drei Wege haben ihre Vorund Nachteile. Für die Pensionskassenrente spricht hauptsächlich ein Argument: Man hat sie im Sack. Sie wird dem Pensionär zuverlässig Monat für Monat ausbezahlt. Bis zu seinem Tod. Damit ist auch das Langlebe-Risiko abgesichert. An den laufenden Renten ist bisher auch nie gerüttelt worden. Sie gelten politisch als tabu. Aber es gibt eben auch klare Nachteile für die Rente:

  • Sie muss zu 100 Prozent als Einkommen versteuert werden.
  • Der Umwandlungssatz wird in einigen Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit noch tiefer sein als heute, wo er im Durchschnitt bei 6,2 Prozent liegt. Man sollte sich auch nicht auf den Satz verlassen, der im aktuellen PK-Ausweis steht. Nach einer Umfrage der Credit Suisse planen viele Vorsorgeeinrichtungen nämlich bereits eine Senkung auf 5,5 Prozent.
  • Als Nominalwert wird sie von der Inflation ausgehöhlt. Innerhalb von 20 Jahren sinkt die Kaufkraft einer Rente sogar bei einer bescheidenen Teuerungsrate von zwei Prozent um glatt einen Drittel. Die wenigsten Pensionskassen bezahlen nämlich einen regelmässigen Teuerungsausgleich.
  • Im Todesfall erhält der hinterbliebene Lebenspartner nur eine deutlich tiefere Rente. Nachkommen, unverheiratete Lebenspartner oder weitere Angehörige gehen meist sogar leer aus. Der Extremfall: Stirbt ein Rentnerehepaar kurz nach der Pensionierung, bleibt das gesamte angesparte Guthaben in der Pensionskasse zurück.
  • Und schliesslich muss ein Rentner, der während Jahrzehnten Geld von seiner Kasse erwartet, hundertprozentig von deren Solidität und Leistungskraft überzeugt sein. Ein tiefer Deckungsgrad oder unterdurchschnittliche Leistungen einer PK können zum Problem werden.

Der flexible, aber anspruchsvollere Kapitalbezug

Die Rente wird als Normalfall angesehen. Wer sich also für sie entscheidet, braucht dies der Pensionskasse nicht zu melden. Wer hingegen Kapital beziehen will, muss eine Anmeldefrist einhalten. Je nach PK-Reglement beträgt diese sechs Monate bis drei Jahre vor der Pensionierung. Nach Ablauf dieser Frist kann der Entscheid nicht mehr widerrufen werden. Der Bezüger des Alterskapitals sieht sich umgehend mit dem Fiskus konfrontiert. Von ihm wird nämlich die sogenannte Kapitalbezugssteuer gefordert. Dies einmalig, getrennt vom übrigen Einkommen und zu einem reduzierten Satz, der von Kanton zu Kanton höchst unterschiedlich ausfällt. Und je höher das aus bezahlte Kapital, desto höher die prozentuale Steuerbelastung. Bei einem Kapitalbezug von einer halben Million Franken zahlen Verheiratete je nach Kanton zwischen 28’432 und 63’489 Franken Steuern, bei einem Bezug von einer Million zwischen 58’600 und 160’882 Franken. Happige Unterschiede von 100’000 Franken und mehr also, die den einen oder andern ernsthaft über einen Wohnortwechsel nachdenken lassen.

In einigen Sonderfällen besteht die Möglichkeit, die Steuern auch durch eine Staffelung der PK-Auszahlungen auf verschiedene Steuerjahre zu reduzieren. Dies beispielsweise bei einer Teilpensionierung, einer Frühpensionierung oder durch Bezüge für Wohneigentum. Ist der Obolus an den Staat einmal entrichtet, geht der versteuerte Betrag vollständig ins Privatvermögen des Vorsorgenehmers über. Relativ geringe Steuern fallen später nur noch für die Zinserträge auf den Wertpapieren an. Der Rest des Kapitals kann nach Belieben vermehrt, verzehrt, verschenkt oder vererbt werden. Doch aufgepasst: Der Kapitalbezüger findet am Monatsende nicht einfach eine Rente auf dem Konto. Er muss sich selber um die Verwaltung des Vorsorgevermögens kümmern und das Risiko der Kapitalanlage tragen. Es sei denn, er bringt das PK-Kapital in eine Leibrente ein.

Das ist allerdings höchst unattraktiv, fällt doch der Umwandlungssatz bei den Leibrenten deutlich tiefer aus als bei den Pensionskassen. Dafür lässt sie sich aber so ausgestalten, dass der mitversicherte Partner nach dem Tod des andern eine unveränderte Rente erhält und dass das noch nicht aufgebrauchte Kapital den Erben ausbezahlt wird.

Das Geld selber verwalten ist keine Hexerei

Wer sein Pensionskassenkapital selber verwalten will, muss keine Anlageleistung à la Warren Buffett erbringen, um einen beachtlichen und stetigen Einkommensstrom zu generieren. Das zeigt die folgende Modellrechnung: Mit einem Alterskapital von einer halben Million Franken ist eine lebenslange jährliche Pensionskassenrente nach Steuern von rund 24 000 Franken realistisch, mit einem Kapital von einer Million dürfen dementsprechend rund 48 000 Franken erwartet werden. Wird das Kapital bezogen, kann aus einer halben Million Franken nach Steuern rein rechnerisch mittels Kapitalverzehr und einer Nettojahresrendite von bloss etwas mehr als einem Prozent während 20 Jahren der gleiche Betrag generiert werden, also rund 24 000 Franken pro Jahr. Soll das Kapital während 25 Jahren die gleiche jährliche Rentenleistung erbringen, bedarf es einer Nettorendite von etwas weniger als vier Prozent. Eine Rendite also, die auch mit einer nicht allzu risikoreichen langfristigen Anlagestrategie erreicht werden kann. Beispielsweise mit der klassischen Vierteilung des Kapitals auf Aktien, Geldmarkt, Obligationen und Immobilienanlagen.

Weitere Informationen finden Sie laufend in unserer Rubrik Finanzen.

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