Erfahrung in der obersten Liga und der Gewinn von prestigeträchtigen Kochwettbewerben: Jérémy Desbraux bringt alles mit, um das Maison Wenger in die Zukunft zu führen.
VON CHRISTIAN MEYER
500 Reservationen! Die Tische im Restaurant Maison Wenger sind in den nächsten Monaten bereits dicht gebucht. Nicht zuletzt, weil Jérémy Debraux Vorgänger Georges Wenger bekannt war für seine herbstlichen Anlässe. Feinschmecker und Liebhaber des authentischen Genusses pilgerten jedes Jahr aus der Romandie, aber auch aus der Deutschschweiz und aus dem benachbarten Ausland zum Sternekoch in Le Noirmont, um sich die legendären Jura-Spezialitäten zu «St. Martin» und der damit verbundenen «cochonaille» (Buremetzgete) schmecken zu lassen.
Statt Kreationen der Spitzengastronomie kommen zu dieser Jahreszeit deftige Gerichte der lokalen Küche auf den Tisch, etwa der jurassische «toétché» (Hefeteigfladen mit Rahm), ferner Bratwürste, «atriaux», Braten und Gesottenes.
Diese Tradition will Nachfolger Jérémy Desbraux weiterführen. Denn: In der Regel buchen die Liebhaber der einheimischen Küche ihren Tisch bereits für das nächste Jahr, wenn sie das Schlemmerfest glückselig verlassen. Doch auch ohne die Buchungen für die berühmten Herbst- und Winteranlässe ist Jérémy Desbraux mehr als zufrieden. Nicht zuletzt dank des grossen Medienrummels in der Westschweiz rund um den Rücktritt des «chef étoilé» Georges Wenger, der sich nach 37 Jahren entschlossen hat, kürzer zu treten, um das Zepter einem fähigen Nachfolger zu übergeben.
Moderne Interpretation
Die Tradition der rustikalen Jura-Spezialitäten will der neue Chef hoch halten, doch der Jungstar bringt aufgrund seiner Herkunft und seines Werdegangs – er ist im französischen Jura aufgewachsen – alle Voraussetzungen mit, um in die Fussstapfen Wengers zu treten und ganz oben mitzuhalten. Wie wichtig sind Jérémy Desbraux Punkte und Sterne? «Kein Zweifel, Auszeichnungen sind mir und meinem Team wichtig und bringen Publizität, aber in erster Linie tun wir alles, um unsere Gäste zufriedenzustellen», sagt der 33-Jährige. Und er weiss sehr gut, worum es in der gehobenen Küche geht: «La véritable prouesse réside dans le fait de reproduire le même degré d’excellence, jour après jour.» – «Die wahre Herausforderung besteht darin, Tag für Tag Spitzenleistungen zu erbringen.» Seinen Kochstil beschreibt er als zeitgemäss, unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten. Wichtig ist für ihn, dass er seinen Kunden unverfälschte Gerichte anbieten und den Eigengeschmack der Produkte herausstellen kann. Bei der Dekoration der Teller setzt er auf aktuelle Tendenzen. Das heisst, als verzierende Elemente werden erster Linie in Form und Farbe attraktive Zutaten wie beispielsweise Kräuter eingesetzt.
Als Signature Dishes im Maison Wenger stehen gegenwärtig gebratene Tauben und Zweierlei vom Jura-Rind (Entrecôte und geschmorte Backe) auf der Karte, aber auch raffinierte Kombinationen mit Kaviar und Foie gras; ferner täglich frisch gelieferte Krusten- und Meerestiere von Frankreichs Küsten sowie Fische aus dem Seeland. Heute schlägt er uns ein leichtes, elegantes Frühlingsgericht mit Zutaten aus der näheren Umgebung vor: Bondelles oder Felchen aus dem Neuenburgersee mit Bärlauch (hier gehts zum Rezept).
Jérémy Desbraux
Bereits vor vier Jahren hat der 33-Jährige seine Klasse bewiesen. Er gewann 2015 den Kochwettbewerb «Prix Taittinger». Dieser Preis wird in der Branche als eine der weltweit anspruchsvollsten Prüfungen betrachtet. Doch zu den Anfängen. Jérémys Vater beschloss einst, seinen damals vierzehnjährigen Sohn in die Kochlehre ins Restaurant la Bergeraine im französischen Mélisey (Franche Comté) zu schicken. Dies stellte sich als glückliche Fügung heraus, weil sich der Spross bald zur passionierten, begabten Nachwuchshoffnung entwickelte. Es folgten Anstellungen bei Sterneköchen in der Westschweiz, etwa bei Gérard Rabaey (Le Pont de Brent), bei Guillaume Raineix (Restaurant Anne Sophie Pic) und bei Etienne Krebs im Ermitage Montreux. Von 2011 bis 2018 arbeitete er im Dreisternerestaurant L’Hôtel de Ville de Crissier, zuerst bei Benoît Violier und später als Souschef bei Franck Giovannini. «Besonders die Arbeit mit Franck hat mir in Sachen Führung und Organisation viel gebracht, aber auch meinen Kochstil entscheidend geprägt», sagt Jérémy rückblickend. Seit Anfang des Jahres ist er der neue Chef und Patron des Maison Wenger im jurassischen Le Noirmont, zwischen La Chaux-de-Fonds und Saignelégier gelegen: Wie fand Georges Wenger (zwei Sterne Michelin) seinen Nachfolger? Das kam so: Jérémy Desbraux besuchte ab und zu seinen Bruder, der bei Wenger arbeitete, und so kam man ins Gespräch. Und: Während er ab und zu bei Wenger in Le Noirmont zu Besuch weilte, lernte er seine Lebenspartnerin Anaëlle Roze kennen, damals Köchin, heute Cheffe de Restaurant. Der frühere Patron will sich übrigens neben seinem grossen Garten künftig einem neuen Geschäftszweig, dem Weinhandel, widmen. 5000 Flaschen, alles Spitzengewächse, unter anderem aus dem Bordeaux und dem Burgund, stehen jedoch weiterhin auf der Karte des neuen Chefs des Maison Wenger. www.maisonwenger.ch