Mit Herzblut und Leidenschaft engagiert sich Sigrid Lüber seit dreissig Jahren für den Schutz der Ozeane. Die Gründerin von OceanCare verfügt über profundes Wissen rund um die Themen „Lebensbedingungen in den Weltmeeren“ und pflegt hervorragende Kontakte zu internationalen Entscheidungsträgern.

Von Karin Breyer

Sigrid Lüber, Ocean Care

Bei einem Tauchgang 1989 auf den Malediven sind Sie Delfinen begegnet – ein magischer Moment, der Ihr Leben grundlegend veränderte. Sie widmeten fortan ihre gesamte Freizeit und Ferien dem Aufbau von OceanCare und widmeten sich ab 2003 ganz den Ozeanen und ihren Bewohnern. Hatten Sie bei der Gründung der Meeresschutzorganisation bereits ein Gespür, dass Sie Grosses bewirken würden?

Sigrid Lüber: Schon damals war mir klar, dass ich mit OceanCare auf Ebene der Gesetzgebung mitwirken wollte. Mit diesem Ziel vor Augen, nahm ich bereits 1992 an der Internationalen Walfangkonferenz (IWC) teil, wo Walfänger auf Walschützer trafen. Nach und nach kamen Engagements in weiteren internationalen Gremien dazu. Ab 2004 reiste ich jedes Jahr nach New York, um an UNO Meetings teilzunehmen.

Was genau macht OceanCare?
Sigrid Lüber: OceanCare setzt sich seit 1989 weltweit für die Meerestiere und Ozeane ein. Mit Forschungs- und Schutzprojekten, Umweltbildungskampagnen sowie in internationalen Gremien unternehmen wir konkrete Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Weltmeeren. Wir haben uns internationalen Prozessen verschrieben und fokussieren auf die Veränderung von Rahmenbedingungen.

Seit Juli 2011 ist OceanCare vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen als Sonderberaterin für den Meeresschutz anerkannt. Ausserdem ist OceanCare Partnerorganisation des Regionalen Fischereiabkommens des Mittelmeers (GFCM), dem Abkommen für wandernde Tierarten (CMS) sowie des Abkommens zum Schutz der Wale und Delfine im Mittelmeer (ACCOBAMS). OceanCare ist auch von der UNEA, dem höchsten Verwaltungsgremium des UN-Umweltprogramms (UNEP) als „Major Group Science & Technology“ akkreditiert und Teil der UNEP Global Partnership on Marine Litter.

Welche Tore haben sich dadurch geöffnet, dass OceanCare UN-Sonderberaterin für Fragen im Meeresschutz ist?
Sigrid Lüber: Dank dem Sonderberaterstatus haben wir dieselbe Redezeit wie jeder UNO Mitgliedstaat und können unsere Anliegen im Plenum einbringen. Wir müssen den Delegierten in der Pause nicht mehr hinterherrennen. Die UNO-Vertreter sind uns grundsätzlich sehr wohlgesonnen, sie hören uns gerne zu und bitten uns auch oft um eine Einschätzung.

Das Meer, für viele ein Sehnsuchtsort, der uns glücklich macht. Aber unter Wasser sind die Zustände inzwischen alles andere als paradiesisch. Was ist da los?
Sigrid Lüber: Ja, das Meer leistet sehr viel für uns Menschen und schenkt uns Ruhe und Erholung. Trotzdem setzen wir unsere Ozeane grossen Belastungen und Gefahren aus: Die Plastikverschmutzung hat immense Dimensionen erreicht und nimmt weiter zu, genauso der Unterwasserlärm, der unter anderem durch Schifffahrt, Ölindustrie und Militär verursacht wird. Überfischung, Klimaerwärmung und Versauerung der Meere sind weitere Probleme, die enorme Auswirkungen auf das Leben unter Wasser haben – und letztlich auch auf uns Menschen.

Jährlich landen rund neun Tonnen Plastik in den Ozeanen. Was ist daran so folgenschwer?
Sigrid Lüber: Plastik braucht Jahrzehnte, oft sogar Jahrhunderte, um sich zu zersetzen. Dabei ist die sichtbare Plastikvermüllung nur die Spitze des Eisbergs. Der weitaus grösste Teil zerfällt in Kleinstpartikel (Mikroplastik) und sinkt in die Tiefe. Bei der Kunststoffproduktion werden unzählige Chemikalien eingesetzt, welche durch Sonne, Wind und Wellen in die Umwelt und in die Nahrungskette gelangen. Damit landet das Problem wieder beim Verursacher: in Form von Nahrung auf unseren Tellern.

Ihre aktuellen Projekte – wo liegt derzeit Ihr Fokus?
Sigrid Lüber: Mit unserer Jubiläumskampagne „SaveMoby“ setzen wir uns für die letzten 200 Pottwale im südöstlichen Mittelmeer ein. Sie sind akut bedroht durch Plastikmüll, Unterwasserlärm sowie die rund 80 Frachtschiffe, die ihren Lebensraum täglich durchqueren. Die grossen Tiere können die herannahenden Schiffe schlecht orten, nicht schnell genug abtauchen und geraten so in die riesigen Schiffsturbinen. Mit Experten aus ganz Europa entwickeln wir ein Warnsystem, welches die Position der Pottwale in Echtzeit den umliegenden Schiffen mitteilt, damit diese ihren Kurs anpassen können.

Aktuell setzen wir uns für den Schutz der Hochsee ein, die noch ein weitgehend rechtsfreier Raum ist. OceanCare ist es wichtig, dass in diesem rechtlich bindenden Abkommen auch grenzüberschreitende Formen der Verschmutzung wie der Unterwasserlärm, Plastik und Chemikalien geregelt werden.

Zudem arbeiten wir an einem Abkommen, welches das Plastikproblem an der Quelle stoppen soll. Wir verfolgen eine Zero-Waste-Strategie und setzen uns für eine Kreislaufwirtschaft ein, die wo immer möglich auf Einwegverpackungen verzichtet. Das sind langwierige Prozesse, darum setzen wir auf Umweltbildung. Denn nur wer informiert ist, kann auch überlegt handeln, den Plastikverbrauch senken und so Teil der Lösung werden.

Die Liste Ihrer Erfolge ist lang. Erzählen Sie …
Sigrid Lüber: Auf alle Erfolge einzugehen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Daher möchte ich mich auf die zwei Erfolge beschränken, die mir persönlich am meisten bedeuten.

Im Jahr 1997 publizierten wir einen Bericht über die Schadstoffbelastungen von Walfleisch und gesundheitlichen Auswirkungen auf Konsumenten. Darauf verabschiedete die Internationale Walfangkommission eine Resolution, welche den Walfangländern die Verantwortung für die Gesundheit der Walfleischkonsumenten übertrug. Gleichzeitig unterstützen wir eine lokale Konsumentenschutzorganisation, die regelmässige Lesungen an Universitäten hielt und die lokale Bevölkerung informierte. Seither ist der Walfleischkonsum in Japan um zwei Drittel gesunken.

Der zweite wichtige Meilenstein hat mit Unterwasserlärm zu tun: Wale sind extrem lärmempfindlich. Intensiver Lärm kann zu physischen Schäden mit tödlichem Ausgang führen.

2003 reichten wir beim EU-Parlament eine Petition für ein Moratorium gegen Militärsonare in EU Gewässern ein. 2004 verabschiedete das EU Parlament mit überwältigender Mehrheit eine Motion für ein solches Moratorium. Spanien setzte diese Motion noch im selben Jahr um und hat den Einsatz von Militärsonaren bei den Kanarischen Inseln in einem Umkreis von 50 Seemeilen (rund 90 Kilometer) verboten. Seither gab es dort auch keine ungewöhnlichen Strandungen von Walen mehr, was belegt: Wenn die Ursache eliminiert ist, verschwinden auch die Symptome.

Welche Rückschläge hatten Sie? Wie gehen Sie damit um?
Sigrid Lüber: Bei unserer Arbeit gibt es keine schnellen Lösungen. Es sind langwierige Prozesse, man braucht viel Geduld und muss in der Lage sein, über Jahre mit Beharrlichkeit ein Ziel zu verfolgen. Daher kann ich mit Rückschlägen gut umgehen. Manchmal ist man einfach auch der Zeit voraus und muss noch eine Runde drehen, oder einen anderen Ansatz wählen, damit ein Anliegen verstanden wird.

Wie blicken Sie auf die Zukunft der Meere? Müssen wir uns sorgen?
Sigrid Lüber: Die Meere sind in grosser Gefahr, und ja, wir müssen uns sorgen. Aber das allein reicht nicht, wir alle müssen handeln und einen Beitrag leisten, um unsere Ozeane zu schützen. Wir hängen weit mehr von den Meeren ab, als uns dies bewusst ist: Sie sind der grösste CO2 Speicher der Welt, sie ernähren Millionen von Menschen, schaffen Arbeitsplätze und schenken uns Erholung und Gesundheit.

Am 23. September 2019, am Klimagipfel in New York, haben Sie für leisere Meere als Beitrag für den Klimaschutz geworben. Mit welchem Ergebnis?
Sigrid Lüber: Für ein messbares Ergebnis ist es noch zu früh, aber es ist uns gelungen darzulegen, dass mit einer Temporeduktion für die Schifffahrt von 10 Prozent der globale CO2-Ausstoss um 13 Prozent verringert werden könnte! Zudem haben wir darauf hingewiesen, dass es endlich eine verbindliche Strategie für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen braucht, damit wir die Energiewende schaffen.

Sie haben mitunter auch mit korrupten Menschen zu tun bzw. mit mächtigen Gegnern, etwa Vertretern der Walfangindustrie. Wie gelingt es Ihnen, dennoch unbeirrt Ihre Ziele zu verfolgen?
Sigrid Lüber: Indem wir versuchen, in den wichtigen Gremien Mechanismen zu erwirken, welche die Einflussnahme durch Geldgeschenke unterbindet. OceanCare war die erste Organisation, die das Thema Stimmenkauf innerhalb der Internationalen Walfangkommission (IWC) adressiert hat. 2000 habe ich eine rechtliche Studie in Auftrag gegeben, in der die Grenzen der Einflussnahme eines Staats auf einen Drittstaat behandelt wurden. Bereits ein Jahr später gab es eine Resolution für mehr Transparenz in der IWC. 2012 folgte dann eine weitere Resolution, welche erwirkte, dass Mitgliederbeiträge über ein offizielles Regierungskonto bezahlt werden müssen. Somit konnte zumindest die damals völlig offene Stimmenkaufpraxis unterbunden werden.

In anderen Gremien haben wir uns für Prüfmechanismen eingesetzt, welche es erlauben, die Umsetzung der Beschlüsse zu durchleuchten und zu beurteilen.

Naturschutzorganisationen wie beispielsweise WWF geraten immer wieder unter Beschuss, weil sie zu eng mit Unternehmen zusammenarbeiten. Um Integrität und Glaubwürdigkeit zu wahren, was tun Sie hierfür?
Sigrid Lüber: Indem wir das Gespräch mit allen Stakeholdern suchen – also auch mit dem Privatsektor –, dabei aber finanziell unabhängig bleiben. Wir prüfen die Herkunft der Gelder und nehmen keine Spenden von Firmen an, die dem Meer oder den Meerestieren schaden. Wir gehen grundsätzlich nur Kooperationen mit Firmen ein, welche in ihrem Bereich wirklich etwas verändern wollen und damit den Meeresschutz vorantreiben.

In vielen Kulturen wird das Meer wie auch das Wasser seit jeher mit dem Weiblichen, Fruchtbaren und Lebendigen in Verbindung gebracht. OceanCare ist ganz in weiblicher Hand. Was glauben Sie, sind Frauen bessere Schützerinnen der Ozeane oder gar des ganzen Planeten?
Sigrid Lüber: Das würde ich so nicht sagen, aber es trifft zu, dass neun von zehn Menschen, die in unseren Büros in Wädenswil arbeiten, weiblich sind. Das mag auch daran liegen, dass Frauen eher bereit sind, zu den Bedingungen zu arbeiten, die wir bieten können. Aber darum geht es nicht in erster Linie; es geht um die Kompetenz, die Leidenschaft und die Bescheidenheit. Diese Eigenschaften, die – zumindest im grammatikalischen Sinn – eindeutig weiblich sind, verbinden unser Team.

Sie sind ein gutes Beispiel, dass man als Einzelperson sehr wohl etwas bewirken kann. Menschen, die sich engagieren wollen, was raten sie denen? Was kann jeder Einzelne sofort tun?
Sigrid Lüber: Ich wurde zuerst belächelt und bekam oft zu hören: „Das brauchst du gar nicht erst zu probieren, das schaffst du nie.“ Wenn ich heute zurückschaue, dann sehe ich, dass sich viele meiner Ziele verwirklicht haben. Daher rate ich allen, die eine Vision haben und etwas bewegen wollen, egal in welchem Bereich, einfach zu beginnen und sich nicht entmutigen zu lassen. Die Überzeugung und die Motivation, Teil der Lösung zu sein, gibt auf jeden Fall Schub und zieht andere Menschen an, die unterstützen oder Türen öffnen können.

OceanCare sensibilisiert u. a. für ein globales Umdenken hinsichtlich Konsumverhalten. Wie kann das Geschehen, ohne in Schuldzuweisung und Anklage steckenzubleiben?
Sigrid Lüber: Nun ja, wir müssen uns alle bewusst sein, dass wir zwar Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung sind. Nur ein informierter Konsument kann eine überlegte Entscheidung treffen. Genau dort setzen wir an. Umweltbildung ist der Schlüssel und durch eine coole Kampagne wie #ICare bildet sich eine Community, die es sich zum Ziel macht, auf Einwegplastik fast oder ganz zu verzichten.

Wie sieht Ihr Konsumverhalten aus? Was tun oder lassen Sie konkret?
Sigrid Lüber: Ich kaufe Gemüse und Obst auf dem Wochenmarkt oder direkt beim Bauer. Ich trinke Leitungswasser und wenn es mal ein Kaffee unterwegs sein muss, dann verwende ich einen wiederverwendbaren Becher. Dank Naturkosmetik gelangen durch mich weder Mikroplastik noch chemische Zusatzstoffe in den Wasserkreislauf. Wenn immer möglich benütze ich öffentliche Verkehrsmittel. Es gibt aber noch viele weitere Dinge, die mir wichtig sind: Zum Beispiel gehe ich mit Wasser sparsam um beim Zähneputzen oder Duschen oder ich stelle die Heizung im Winter auf max. 21 Grad.

Was gibt Ihnen Mut und Kraft für Ihr leidenschaftliches Engagement?
Sigrid Lüber: Ich liebe meine Arbeit über alles. Die Möglichkeit, vieles mitzugestalten und zu verändern, beflügelt mich, schenkt mir Zufriedenheit und ist Triebfeder für neue Initiativen. Ein Perpetuum mobile sozusagen.

Was hat Sie am meisten berührt bei Ihrer Arbeit mit OceanCare?
Sigrid Lüber: Ich empfinde es als grosses Privileg, dass ich damals den Mut hatte, meinem Herzensthema zu folgen und ein Lebenswerk entstanden ist, welches mich überleben wird.

Worin liegt Ihr grösstes Glück?
Sigrid Lüber: Mein grösstes Glück sind meine Gesundheit und mein robustes Naturell, sowie die Fähigkeit, vernetzt zu denken und immer das grosse Bild vor Augen zu haben.

Sie sind jetzt 64. Bald Zeit, in Pension zu gehen?
Sigrid Lüber: Ich habe mir die Zahl 70 zum Ziel gesetzt; solange möchte ich noch weitermachen. Neben der Regelung meiner Nachfolge, kümmere ich mich im Hintergrund um strategische Aufgaben, bin weiterhin in die inhaltliche Ausrichtung involviert und begleite das Team als Mentorin. Und da meine Motivation immer noch gleich gross ist wie vor 30 Jahren, wird mir dies auch die Kraft und den Schwung für die nächsten sechs Jahre geben, bis ich mein Präsidum in neue Hände lege, die übrigens auch weiblich sein werden. Fabienne McLellan ist meine designierte Nachfolgerin, sie wird 2025 das Präsidium übernehmen.

Welche Vision haben Sie für die nächsten fünf Jahre?
Sigrid Lüber: Wir brauchen endlich eine verbindliche Strategie zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, damit die Energiewende, die am Pariser Klimagipfel 2015 beschlossenen wurde, auch vollzogen wird. Und es muss uns gelingen, die Ölindustrie aus sensiblen Meeresgebieten fernzuhalten.

Persönlich möchte ich gerne miterleben, wie die neue Generation bei OceanCare die Organisation weiterentwickelt und vieles erreicht, was in den vergangenen 30 Jahren noch nicht möglich war.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Aufgewachsen im Kanton St. Gallen, arbeitete Sigrid Lüber zunächst im kaufmännischen Bereich, seit 1989 setzt sie sich auf vielschichtige Weise für die Ozeane und deren Bewohner ein. Heute ist sie weltweit eine der aktivsten Meeresschützerinnen. Weitere Infos: oceancare.org

Aktuelles Projekt von OceanCare: SaveMoby

Ganze 200 Pottwale leben heute noch im östlichen Mittelmeer. Sie erleiden häufig schwere bis tödliche Verletzungen durch die enorme Zahl von Frachtschiffen, die ihren Lebensraum in hohem Tempo durchqueren. Zum dreissigsten Jahrestag ihrer Gründung lanciert OceanCare eine Schutzinitiative, die die Wale mit Hightech-Bojen ortet und ihr Vorkommen an die Schiffe meldet. Helfen Sie mit, die letzten Pottwale zu retten: https://bit.ly/2qiyip3