Bespoke

I don’t know, wie Sie das sehen, aber für mich ist ein Mann in zweiter Linie dann attraktiv, wenn ihm seine Kleidung richtig gut steht (in erster Linie sind es strong geformte Hände, und Unterarme, die mich magisch anziehen, but that’s another story). Ich bin begeistert, wenn der Mann den Eindruck erweckt, sich nicht einfach nur angezogen zu haben, sondern er sich bewusst kleidet.

VON DÖRTE WELTI

Stylishe Männer kennen den Ausdruck «Bespoke». Der Term wird für auf Mass angefertigte Kleidung benutzt, Anzüge meistens, auch einzelne Jacken, Hosen, Mäntel können bespoke sein. Ursprünglich kommt das Wort daher, dass man den Stoff, der für das zu schneidernde Stück ausgesucht wird, besprochen hat und sich drauf geeinigt hat, be-spoked hat sozusagen. Gut angezogen zu sein ist allgemein keine Definition für Designerstücke oder welches Label man auswählt oder wie teuer die Ware war. Es geht mehr darum, ob der Mann etwas trägt, was (zu) ihm passt, oder ob er einfach nur etwas übergeworfen hat – ein grosser Unterschied. Garderobe von guter Qualität in puncto Stoff und Verarbeitung, auf die gut geachtet wird, die lange hält, natürlich Patina bekommt, aber immer gepflegt daher kommt, zeugt von einem aufmerksamen Geist. Jemand macht sich Gedanken, trägt Sorge zu sich, das ist sympathisch. Drum habe ich letztens am Büchertauschregal* in unserem Dorf zu einem Buch gegriffen, auf dessen Rücken «Bespoke» steht. Untertitel: Saville Row Ripped And Smoothed (yes, das Buch ist in Englisch). Zum Glück. Pures Leservergnügen folgte.

Jetzt könnte man denken, na ja, Saville Row und so, das ist lange her, das ist vielleicht eine Story aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Weit gefehlt. Es ist die super spannend geschriebene Erfolgsstory von Richard Anderson, der heute immer noch in der Saville Row 13 sein Business führt. Er erzählt, wie er überhaupt dazu kam, Bespoke Schneider (Tailor) zu werden. Anfang der 1980er-Jahre beginnt er seine Ausbildung bei Henry Huntsman & Sons, damals vielleicht DEM renommiertesten Haus der «Goldenen Meile» Saville Row in London, wo sich ein Schneider an den nächsten reiht. Huntsman war übrigens auch die Inspiration für den Schneider Kingsman in dem Film Kingsman: The Secret Service mit Colin Firth in der Hauptrolle, die Dreharbeiten fanden dort in der Saville Row 11 statt. Richard Anderson nimmt uns mit auf die unerbittliche Ausbildung, die er durchlief, bis hin zu dem Punkt, wo er alle 18 oder 19 Berufe eines Tailors beherrschte, im Haus seiner Lehrmeister nicht mehr bestehen konnte und Anderson den Schritt in die Selbständigkeit wagt. Er plaudert auch aus dem Nähkästchen, erzählt von Marotten der Stars, die durch Huntsman’s Tür liefen, spart nicht mit Kritik am Klassendünkel und gibt sogar dezidierte Geheimnisse und Verarbeitungstricks aus der Massschneiderei preis.

Big Boy André Leon Talley, der einstige Kreativdirektor der Vogue unter Anna Wintour, schrieb das Vorwort, selbst ein überzeugter Träger von Richard Anderson’s Anzügen. Das Buch ist ein unterhaltsames Plädoyer für die Nachhaltigkeit von Massanfertigung. Natürlich kann es sich nicht jeder leisten, in der Saville Row im High End Sektor einzukaufen. Aber die Kriterien, wann etwas stilvoll und sinnvoll ist, um die Statur eines Mannes zur Geltung zu bringen, die gelten allemal und sollten auch mit kleinem Budget angewendet werden. Im übrigen musste auch die Saville Row mit der Zeit gehen und es gibt durchaus schon erschwingliche Varianten, sich etwas auf den Luxuskörper meisseln zu lassen. Ich kann es nur empfehlen, es macht ungeheuer viel her.

*In dem Dorf, in dem ich wohne, hat vor Jahren mal eine engagierte junge Frau bei einem Bauern am Eck ein vor Regen geschütztes Regal aufstellen dürfen. Sie wollte sich aus Platzgründen von Büchern trennen, sie aber nicht wegwerfen. Seitdem findet über dieses Regal ein reger Büchertausch statt. Man entdeckt dort immer wieder sagenhafte Schätze, und weil unsere Gemeinde sehr international ist, auch Werke aus aller Welt.

Richard Anderson
Bespoke – Saville Row Ripped And Smoothed