Lebe deinen Traum - Walter NotterWalter Notter (65),  hat sich den Traum erfüllt, armen Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Seit er als selbstständiger Textilfachmann tätig ist, knüpfen für seine Firma Creation Walter Notter Tibeter und Nepalesen Teppiche nach Mass.

VON BENEDIKT LACHENMEIER

Walter Notter sprüht vor Energie. Beginnt er einmal zu erzählen, gibt es kein Halten mehr. Eine Anekdote folgt auf die nächste. Seit über 30 Jahren ist der Aargauer für seine Leidenschaft unterwegs: Spezielle Naturfasern und Textilien. Dahinter steckt aber mehr als nur die Freude an schönen Stoffen. Den 65-Jährigen interessiert, was hinter den Materialien steckt. Das Interesse an fremden Ländern und Völkern ist es, was den Textilfachmann antreibt. «Wenn ich einen Menschen vor mir habe, will ich wissen, was er macht, was er denkt. Dadurch bleibt man in seiner eigenen Kultur beweglich.» Das war bereits so, als er Mitte Zwanzig in einem Möbelfachgeschäft als Wohnberater arbeitete. «Ich habe keine Teppiche, sondern Geschichten verkauft. Ich versuchte Freude und Kultur zu vermitteln.» Ein Grundsatz, der bis heute geblieben ist.

Nepal hat es ihm besonders angetan. Die Wolle dazu ist meist pflanzengefärbt. Und irgendwann war da dieser Traum, Menschen in einem der ärmsten Ländern der Welt zu einem besseren Leben zu verhelfen. «Jedes Mal, wenn ich im Flieger von Nepal zurück nach Doha oder Abu Dhabi sitze, sind bis zu 75 Prozent des Flugzeugs mit Nepalesen besetzt, die dort für einen Hungerlohn schuften. Von 28 Millionen Menschen arbeiten knapp 2,7 Millionen im Ausland. Das ist doch eine Katastrophe. Da sagte ich mir: Wenn diese Menschen vor Ort Arbeit haben, muss man die Familien nicht mehr auseinander reissen.» Also gründete Walter Notter vor sechs Jahren mit seinem lokalen Weber eine Spinn- und Webschule.

Meisterspinner

Meisterspinner beim letzten Stück des längsten Schals

Junge Frauen haben nun die Möglichkeit, eine Ausbildung zu absolvieren. «Bereits vom ersten Tag an verdienen sie so viel, als wären sie ausgelehrt», sagt Notter ein wenig stolz. «Motivation pur! Der Lohn ist etwa doppelt so hoch wie bei anderen Jobs in Nepal.» Nach Abschluss der Ausbildung haben die jungen Leute die Möglichkeit, in den Manufakturen von Notters Partner-Herstellern eine langfristige Anstellung zu erhalten.

Nebst Teppichen lässt der Textilfachmann auch Kleider, vor allem aber Schals weben und stricken. Sie sind meist aus handversponnenem Qiviut, einer Spezialität aus dem hohen Norden, gefertigt. Es handelt sich dabei um das Winterkleid des Moschusochsen, der in Grönland, Kanada und Alaska zuhause ist. «Es wird als das Gold der Arktis bezeichnet. Pro Jahr gibt es nur fünf bis sechs Tonnen», schwärmt er. Seine Produkte, die schnell mal 1000 Franken und mehr kosten können, verkauft er in der Schweiz, aber auch in Deutschland, Österreich, ja selbst in Kanada. Am liebsten an Leute, die kulturell interessiert sind. Weniger gerne an
solche, die «einfach den Stutz hinlegen und nicht checken, was sie in den Händen halten». Mit der Verarbeitung von Qiviut – und inzwischen auch Yangir, der Wolle vom asiatischen Steinbock – leistet Walter Notter Pionierarbeit. Er ist der einzige Produzent in ganz Europa. Der Erste zu sein, ist genau sein Ding. Da wäre zum Beispiel der mit 167 Metern längste gewobene Schal der Welt. Ein verrücktes Projekt, das absolut Sinn macht. «Ich sehe diesen Schal als ein Völker verbindendes Unikat, das möglichst vielen Menschen Freude bereiten sollte», erklärt Walter Notter. 15 nepalesische Spinnerinnen und zwei Weber waren während 900 Tagen damit beschäftigt, das edle Garn zum besagten Wunderwerk zu verspinnen und zu verweben. «Der Schal kann als eine Brücke betrachtet werden, der die Himalayaregion mit unseren Alpen verbindet.» An 66 konfektionierten Einzelstücken erfreuen sich nun Textilliebhaber.

Qiviut Schaal

Die vier Muster des längsten Schals (Materia lien: Qiviut, Yangir, Golden Muga Seie, Baby-Yak und Kaschmir).

 

«In diesem Handwerk können wir auch die Bescheidenheit, Fröhlichkeit und das strahlende Lächeln der Menschen aus Nepal wiederfinden.» Als Walter Notter im Juni 2015 nach Kathmandu reist, vergeht ihm das Lachen. «Als ich die Folgen des Erdbebens sah, stand ich total neben den Schuhen. Nichts hat mehr funktioniert», erinnert er sich. «Dann sagte ich mir: Jetzt mache ich es erst richtig gross. Und als ich in den Flieger stieg, kam mir eine Idee: eine Million Schals für Nepal.» Der Grundstein für ein weiteres Hilfsprojekt war gelegt. Mit seinem Produzenten sucht der Textilfachmann nun ein Stück Land ausserhalb der nepalesischen Hauptstadt. Auf ca. 1500 Quadratmeter möchten die beiden eine grosse Spinnschule bauen und eine eigene Pflanzenfärberei betreiben. Dort soll die besagte Million Schals wiederum aus Qiviut, Yangir und Kaschmir produziert werden. Die Absicht dahinter, den grössten Teil aus dem Erlös für weitere Hilfsprojekte einzusetzen.

Spinnerin

Spinnerin beim Verspinnen von Yangir. Pro Tag schafft sie sieben bis zehn Gramm, was einem
Faden von 350 bis 500 Metern entspricht

Walter Notter erklärt seine Lebensphilosophie anhand eines Zitats des grönländischen Schamanen Angaangaq: «Schmelzt das Eis in euren Herzen. Denn sobald ihr lernt, das Eis in euren Herzen zu schmelzen, wird sich die Welt verändern. Beginnen wir mit einem Lächeln.» Hier folgt wieder eine weitere Brücke zu Nepal. Denn dort wird trotz Armut viel gelächelt und gelacht. «Ich bin aber nicht nur der Helfer. Ich verschenke keine Fische, ich zeige lieber, wie man fischt. Talente und Menschen zu fördern, die wirklich wollen – das sind einfach immer wieder tief empfundene, emotionale Momente.»

 

Und hat Ihnen die Geschichte über Walter Notter gefallen? Im Magazin 50plus präsentieren wir jeweils mehrere Geschichten unter dem Titel “Lebe deinen Traum”. Und vielleicht ist ja schon bald Ihre Geschichte hier präsent. Wir freuen uns auf Ihren Traum, den ihr lebt!

Dieser Text wurde im 50plus Magazin, Ausgabe Dezember 2016 mit vielen Bildern publiziert.
Fotos: Walter Notter