Die Hochschule Luzern untersuchte, wie gut die Schweizer Immobilienwirtschaft auf die steigende Nachfrage nach Wohnmöglichkeiten für Menschen im Pensionsalter vorbereitet ist. Ungenügend, lautet das Fazit der Studie. Denn es bestehen kaum Strategien zum Umgang mit dem demografischen Wandel. Und die wenigen Aktivitäten fokussieren auf Produkte für «Wohnen mit Betreuung und Pflege». Das Forschungsteam sieht deshalb auch Gemeinden in der Pflicht.
Bis im Jahr 2020 wird in der Schweiz jede fünfte Person über 65 Jahre alt sein, bis im Jahr 2030 gar jede vierte. Damit werden Pensionierte die Nachfrage nach Wohnen stärker prägen als bisher. Ob die Wohnungswirtschaft auf diese Veränderung vorbereitet ist, untersuchte die Studie «Demografie und Wohnungswirtschaft. Pensionierte auf dem Wohnungsmarkt» des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern.
Dafür befragte das Forschungsteam rund 200 Immobilieneigentümer, Investoren, Liegenschaftsverwalter und Vermarkter. Zudem konsultierte es bestehende Studien und Datensätze, um die Bedürfnisse von über 65-jährigen Mietern und Eigentümerinnen zu eruieren und ergänzte die Erkenntnisse mit Fallstudien.
Klischees führen zu falscher Produktentwicklung
«Die Immobilienbranche schätzt Pensionierte klischeehaft ein», schlussfolgert die Soziologin und Studienleiterin Joëlle Zimmerli. Das tradierte Bild von gebrechlichen und hilfsbedürftigen älteren Menschen dominiert die Vorstellung vom Wohnen im Alter. Das führt dazu, dass Wohnungsanbieter den Fokus vor allem auf «Wohnen mit Betreuung» richten. «Damit verkennen sie, dass mit den Babyboomern in den nächsten Jahren eine freiheitsliebende, individualisierte und bis ins hohe Alter fitte Generation ins Pensionsalter kommt», sagt Immobilienexperte Markus Schmidiger. Sie überschätzen die Nachfrage finanziell gut versorgter älterer Personen nach Wohnen mit fixen Dienstleistungspaketen und unterschätzen den Wunsch, in einer Liegenschaft mit Nachbarn unterschiedlichen Alters zu wohnen, die ähnliche oder auch ergänzende Interessen haben.
Daraus folgert Zimmerli: «Der Wohnungsmarkt braucht keine spezifischen Lösungen für das Wohnen im Alter. Vielmehr muss das Älterwerden bei allen Um- oder Neubauprojekten und vor allem bei der Vermarktung und Vermietung mitgedacht werden – egal ob im hoch- oder niederpreisigen Segment.»
Hindernisfreie Mietwohnungen werden nicht für Pensionierte vermarktet
Diese Strategie verfolgt jedoch kaum ein Immobilienentwickler oder -eigentümer, stellte das Forschungsteam fest. Zwar begegnen die Akteure dem demografischen Wandel mit dem Bau von hindernisfreien Wohnungen. Allerdings werden die Anliegen von pensionierten Neumieterinnen und -mietern bei deren Vermarktung kaum berücksichtigt: Ältere Personen brauchen länger, um sich zu entscheiden, weil sie sich von einer vertrauten Umgebung lösen müssen und weil das Auflösen eines langjährigen Haushalts mit viel zeitlichem und emotionalem Aufwand verbunden ist. Sie möchten so viele Informationen über die neue Wohnung und Wohnumgebung wie möglich zusammentragen, bevor sie einen Entscheid fällen. «In einem auf Effizienz und Geschwindigkeit getrimmten Vermarktungsumfeld ist dafür wenig Platz», sagt Schmidiger.
Die Konsequenz daraus: Selbst in neuen Überbauungen, die eigentlich für eine altersmässig durchmischte Klientel ausgelegt wären, sind Pensionierte deutlich untervertreten.
Auch den Wohnungsmix schätzt die Immobilienbranche gemäss der Studie falsch ein. Denn das Alleinwohnen bleibt mit der Generation der Babyboomer im Trend, deshalb braucht es künftig noch mehr 2.5-Zimmer-Wohnungen. Die Immobilienwirtschaft will vor allem in den Grossstädten vermehrt Wohnungen für kleine Haushalte erstellen. Für die Agglomeration und im ländlichen Raum geht sie jedoch nach wie vor davon aus, dass auch in Zukunft eine grosse Nachfrage nach 4.5- bis 5.5-Zimmer-Wohnungen besteht. «Diese Annahme ist falsch. Auch in ländlichen Gebieten braucht es mehr Wohnungen für Kleinhaushalte», widerspricht Zimmerli.
Kein systematisches Wissen zum Anpassungsbedarf im Bestand vorhanden
Der grösste Handlungsbedarf besteht im Umgang mit bestehenden Wohnungen, da Neubauten einen marginalen Anteil des Wohnungsangebots ausmachen. «Die Umfrage macht deutlich, dass knapp die Hälfte der Eigentümer und Liegenschaftsverwalter den Bedarf, eigene Immobilien für die Bedürfnisse älterer Personen aufzuwerten, zwar als eher bis sehr gross einschätzen. Tatsächlich finden bisher aber nur wenige Umbauarbeiten statt», sagt Schmidiger. Gemäss der Studie liegt dies daran, dass Eigentümer entweder keine Anpassungsstrategie verfolgen oder diese auf Sanierungen konzentrieren. Weil in die sanierten Wohnungen meist junge Leute ziehen, profitieren ältere Mieterinnen und Mieter kaum davon.
Eine strategische Planung ist in vielen Fällen kaum möglich, weil Eigentümer den Handlungsbedarf nicht abschätzen können. Es fehlt ihnen an systematisch erhobenen Daten zur Bewohnerschaft. «Erstaunlicherweise werden hier auch Liegenschaftsverwaltungen kaum aktiv, obwohl sie an der Schnittstelle von Mietern und Eigentümern sind», so Zimmerli. «Mit ihrem Wissen und den vorhandenen Daten könnten sie Eigentümer darin unterstützen, Liegenschaften je nach Altersprofil attraktiver für die Zielgruppe der Pensionierten zu machen.»
Gemeinden müssen aktiver werden
Weil Gemeinden und Städte ein Interesse daran haben, dass ältere Personen möglichst lange zu Hause bleiben können, nimmt das Forschungsteam auch diese in die Pflicht. «Will die öffentliche Hand, dass sich der Immobilienmarkt mehr bewegt, muss sie nicht primär selbst Alterswohnungen bauen, sondern ihre Verantwortung in der Gemeinde- und Quartierentwicklung wahrnehmen», sagt Schmidiger.
So sollten die Kommunen gewährleisten, dass Quartiere gut versorgt sind und an bereits gut erschlossenen und versorgten Lagen Wohnungen gebaut werden können. Zudem gilt es zwischen den Interessen der älteren Bevölkerungen und den Bauherrschaften zu vermitteln. Dafür braucht es ein umfassendes Wissen über die Anliegen der älteren Generationen für das Wohnen im Alter. Gleichzeitig sollte die öffentliche Hand ältere Menschen frühzeitig motivieren, in gut versorgte Quartiere zu ziehen und ihnen dafür Informationen sowie Hilfeleistungen bieten.