Emil und Niccel – Eine filmreife Liebesgeschichte

Die jüngere Geschichte des grössten – ja was: Kabarettisten? Komikers? Künstlers? – der Schweiz, Emil Steinberger, der am 6. Januar 2018 seinen 85ten Geburtstag feiert, ist eigentlich eine Lovestory. Genug Material für einen Spielfilm. Aber dazu später.

VON DÖRTE WELTI

Ist es schwer, ein Interview mit Emil Steinberger und seiner Frau Niccel (er sagt Nitschel, wie Gucci …) zu führen? Nicht wirklich. Ein Mann wie er hat schon ganz viele Fragen beantworten müssen und er liefert die – aktuellsten – Beispiele grad selbst: Sind Sie wirklich 84? Wieso arbeiten Sie noch? Warum tun Sie sich das an? Wollen Sie das fragen, Frau Welti? Nein, eigentlich nicht, aber bevor man dazu Stellung nehmen und eine artige erste eigene Frage platzieren kann, hat das Paar schon begonnen. «Meine Arbeit ist nur möglich wegen der da», dabei zeigt er auf seine Frau. «Dank der da», sagt die Angebetete, die mal als Niccel Kristuf im nordrheinisch-westfälischen Wermelskirchen auf die Welt kam, «nicht wegen der da». «Ja, es wäre alles überhaupt nicht möglich», konstatiert der Ehemann von Niccel. «Wo sässe ich denn heute? Wenn es keine Niccel gegeben hätte? In New York. Alleine im 26. Stock und sähe zum grossen Fenster raus, würde die New York Times lesen …»

Emil und Niccel beim Interview – Foto: Dörte Welti

Nach New York war der 1933 in Luzern Geborene im Alter von 60 Jahren geflüchtet. Nicht Krieg, stalkende Fans oder wütende Frauen verschlugen ihn 1993 nach Manhattan, sondern das Zuviel an allem. Er hatte eine unfassbar erfolgreiche Karriere hingelegt: Neun Jahre Postbeamter bis 1960, dann fünf Jahre Grafikausbildung an der Schule für Gestaltung Luzern. Zuerst nebenbei und dann immer intensiver spielte er Kabarett, mal im Ensemble, mal solo, am Ende nur noch solo. Ab 1967 ein eigenes Theater, das Luzerner Kleintheater am Bundesplatz. Immer weiter mit immer ausgefeilterem Soloprogramm, der Grafiker verdiente derweil das Geld für die beiden Künstler, den Kabarettisten und den Theaterchef. Dazu ein Kino, der «Atelier»-Neubau für Studiofilme. Und weitere Soloprogramme, der Berner Zytglogge Verlag produzierte 1971 die erste Schallplatte «Emil». Langsam entdeckte auch das Fernsehen den Emil, wie er sich nur noch nannte bzw. seine Programme.

Kurz und prägnant. Kann sich jeder merken. Auch das Deutsche Fernsehen kommt und will Emil senden. Die deutschen Zuschauer hatten es in den 1970er-Jahren sehr mit Humor aus dem Ausland, sie lachten zu der Zeit viel über den Holländer Rudi Carell und den Briten Chris Howland und dann eben über den Schweizer Emil, so viel, dass es ihm manchmal zu viel wurde. Dazwischen verrückte Zeiten mit dem Circus
Knie (1977), Hauptrollen in Spielfilmen (Die Schweizermacher 1978, Helden 1986), und ganz ganz viel Engagement beim Circus Roncalli. In New York wollte er durchatmen, nichts tun. Und genau das wurde daraus: Nichts. New York beschäftigte ihn, in Amerika lebende Europäer fragten um Hilfe für alles Mögliche, und Emil Steinberger-Steinbock (wegem dem Geburtstag am 6. Januar) machte möglich. Drei Jahre später kam Niccel.

Solo, aber nicht allein

«Dank Niccel bin ich wieder in der Schweiz», erzählt der Heimkehrer. «Alleine wäre ich vielleicht nicht zurückgekommen. Was hätte ich alleine in der Schweiz gewollt? Wenn man berühmt und solo ist, ist das Alleinsein nicht lustig. Ich konnte mir das nicht vorstellen.» Jetzt hat er Niccel und ist nicht mehr ganz so ausgesetzt, denn sie verbringen ihre Zeit zu 99 Prozent gemeinsam und das gibt einen gewissen Schutz. «Ein Schäferhund» wurde sie mal von einem Filmteam beschimpft, weil sie sich dafür einsetzte, dass Emils Willen durchgesetzt wird. «In Basel ist es nett», wiegelt der Berühmte ab. «Die Leute gehen neben einem über den Fussgängerstreifen und sagen, ‹wir sind so glücklich, dass Sie bei uns in Basel leben›.»

Grundnenner Liebe

Es folgt eine Betrachtung über die Vor- und Nachteile des Alleinseins: «Soll man mit 60 oder 65 überhaupt wieder eine Beziehung anfangen?» Diese und andere Fragen musste er sich nicht stellen, denn das Drehbuch des Lebens war längst geschrieben. Niccel kannte den Schweizer Kabarettisten von Kindesbeinen an durch das Fernsehen. Mit 15 besuchte sie den Circus Roncalli. Sie wusste zwar damals nicht, dass Emil die Regie bei diesem Programm geführt hatte, dafür aber augenblicklich, dass sie Clownin werden will. Mit 20 fasst sie den Mut und schreibt dem Berühmten. Fragt, wo man sich denn ausbilden lassen könne. Es sei ein aussergewöhnlicher Brief gewesen, sagt Emil heute noch. Die beiden schreiben sich dann zehn Jahre. 1995 fliegt Niccel mit der Mama im Gepäck nach New York, um dort ihren 30sten Geburtstag zu feiern, und trifft dort unter anderem auch Emil. Noch funkt es bei Emil nicht wirklich, und Niccel ist nicht mehr in ihn verknallt, wie sie es zu Beginn der Brieffreundschaft mal war. Aber etwa ein Jahr später bemerkt der Exil-Schweizer, dass ihn die junge Frau doch nicht losgelassen hat und er lädt sie nochmals ein. Fast drei wunderschöne verrückte Jahre im Big Apple folgen. Beide sind sehr verliebt. Das Paar heiratet in der City Hall, versteht da zwar kaum ein Wort, denn die Standesbeamtin spricht sehr schlecht Englisch, so schlecht, dass selbst die amerikanischen Trauzeugen nicht alles verstehen. «Es gab nie ein Hindernis», sagt Emil, «keine Barriere oder etwas Unpassendes, das störte. Es lief einfach.» «Seit 21 Jahren sind wir zu 99 Prozent zusammen», freut sich Niccel. «Ich hab’s nicht so mit Zahlen», sagt Emil, «habe nie mit Jahreszahlen gearbeitet, ‹wenn ich mal so und so alt bin›» – er macht diese abwiegelnde Handbewegung. Die Journalistin denkt noch darüber nach, ob es nicht total uncool ist, die Frage nach dem Altersunterschied zu stellen, völlig unzeitgemäss, da kommt die Aussage schon von alleine. «Bei uns ist das gar kein Thema, der Altersunterschied.» Sagt Niccel. «Bist ja 32 Jahre jünger.» Sagt Emil. «Wir haben einfach auf unser Bauchgefühl gehört.» Sagt Niccel. «Der Grundnenner, den gibt es.» Sagt Emil. Es passt einfach alles. Die erste Wohnung zurück in der Schweiz finden sie ausgerechnet im «Riant Château», dem lachenden Schloss in Montreux, die Beschriftung entdecken sie erst später am Wohnhaus. «So Sachen muss man geniessen, so Zufälle.» Sagt Emil.

Frau Wundertüte

Die zwei schauen sich immer wieder an beim Erzählen. Sie sind aufeinander eingespielt, ergänzen sich. «Ohne dich ginge all das nicht», fährt Emil fort und der Liebe über den Kopf. «Früher, als ich auf Tournee ging, habe ich alles selbst gemacht, am Telefon die Bedingungen abgemacht, war Chauffeur, hab den Zettel unterschrieben, fertig. Heute muss man zehn Seiten durcharbeiten. Die Verhandlungen, die Administration – das macht alles Niccel.» Nimmt sie sich zurück für ihn? «Für uns», strahlt sie. «Wir sind ein Team. Wenn ich meine ‹LachsemiNarre› mache, gesellt Emil sich im Hintergrund dazu und hält mir den Rücken frei, damit ich mich voll auf das Seminar und meine Teilnehmer konzentrieren kann.» «Sie ist so kreativ», streichelt der Ehemann weiter. «Es kommt einfach so. Sie ist grafisch kreativ, meistert alle Computerprobleme, hat Ideen, ihr Kopf ist ein Intelligenzkasten, ich habe Achtung vor ihrem Können. Dazu bist du noch lieb, hilfsbereit, hilfst Menschen wo du kannst, du bist einfach eine Wundertüte. Und immer wieder die neuen Sachen …» «Du schmeisst mich auch immer wieder ins kalte Wasser.» «Diesen Mut habe ich.» «Die schwimmt sich schon frei, denkst du …» (Anmerkung der Redaktion: Die beiden bemerken mich grad gar nicht …) «Wir sind aus zwei verschiedenen Generationen, unterschiedlichen Ländern», fährt Niccel fort, «aber wir haben die gleichen Sachen gerne. Wenn man über die gleichen Dinge lachen kann …» Ist das das Geheimnis für eine gute Beziehung? Oder: Was ist das Geheimnis für eine gute Beziehung? «Streiten ist kein positiver Lebensinhalt», findet Emil, «Harmonie ziehe ich vor.» Pause. In die Augen schauen. Dann tauchen sie wieder auf: Was gibt es denn in der nächsten Zeit Neues? «2018 wird ein Überraschungsjahr», prophezeit Emil. «Wir haben so viele Projekte in der Pipeline, die zurückstehen mussten», ergänzt Niccel.

Eines steht fest: «Das Schweizer Fernsehen hat mein aktuelles Programm ‹Emil – No einisch!› aufgezeichnet, das wird am 6. Januar 2018 gesendet.» Zur Prime Time? «Ja, zur Prime Time. Aber jetzt schreibe ich dann mal dem Schweizer Fernsehen, was ich am Abend sehen möchte. Alles, was einigermassen anspruchsvoll ist, verbannen sie auf die Zeit, wo man im Bett sein sollte.» Niccel findet es auch traurig, dass man auf «Aeschbacher» immer warten muss bis nach 22 Uhr. Warum man das nicht zur besten Sendezeit sehen könne, so tolle interessante Menschen, so viele Vorbilder, denen man durch Kurt begegnen kann. Man müsse immer aufbleiben.

Möchte Emil mal ein Polit-Programm schreiben? «Emil-Humor und Politik mischen? Da bin ich skeptisch.» Emil Late Night? «Als Interviewer wäre er super», spinnt Niccel den Faden grad weiter, «er hat so ein grosses Gespür für Menschen. Und neugierig ist er. Wenn wir mit dem Zug fahren, zeigt er immer auf Firmengebäude, an denen wir vorbeifahren und fragt, ‹Was machen die wohl in all diesen Bauten? Was produzieren die? Das wäre doch mal spannend, das herauszufinden.›»

Was gibt es Neues?

Der Nachdenkende sinniert kurz, eine Chance, doch eine Frage zu formulieren, die angesichts der Alterszahl gestellt werden will: Machen Sie sich Gedanken über den Tod? Ausgerechnet jetzt kommt der Kellner, seine Schicht endet, er muss abrechnen, passt ja auch irgendwie zum Thema. «Der einzige Gedanke, der mir oft kommt», beginnt Emil, und begleicht die Zeche, «ich kann sagen, dass ich meine Jahre genutzt habe, ausgekostet, auch in Luzern, hab Kinos geführt, mit meiner ersten Frau Maya ein Theater aufgebaut. Dann die aktiven Jahre mit Niccel, die habe ich intensiv, intensiv gelebt. Ich bin ein Glücksmensch gewesen und bin es immer noch. Es hat sich alles ausbezahlt.» – «Das Schlimmste ist das Nachher», sinniert Niccel, «wenn jemand tot ist.» Und erzählt, dass ihr Bruder grad viel zu früh an Krebs gestorben ist. Das ist wirklich schlimm. Tief Luft holen. In den Arm nehmen. Und weiter im Text. «Im Historischen Museum in Luzern hat es eine Ausstellung gegeben über Emils Leben», kommt Niccel in den Sinn, und Emil ergänzt stolz: «Der Chef vom Süddeutschen Rundfunk kam und sagte: ‹So was wie Sie gibt es nur alle hundert Jahre.›» Aber nochmal: Was gibt es Neues? «Unsere Köpfe finden immer wieder neue Wünsche», prognostiziert Emil, will sich nicht festlegen und freut sich erst Mal auf ein paar leere Kalendertage. «Wir überlegen: Was kann man machen? Was ist wichtig, das man noch verwirklichen kann?». Eine Biografie vielleicht? «Wir haben Drehbücher in der Schublade», sagen dann Niccemil, die schon einen eigenen Verlag, die Edition E (wie Emil) gegründet haben, sie können also auch Drehbücher schreiben. «Aber jemanden zu finden, der das nachvollziehen kann, was wir ausdrücken wollen, das ist gar nicht so einfach.» Dafür ist aber grad die DVD «Emil für Kids» fertig, Niccel Kreativ-Steinberger hat dafür gefilmt und geschnitten. Diese DVD wollen sie jetzt publik machen. Zusammen. Wie alles.

www.emil.ch, www.niccel.ch, www.edition-e.ch

Dieser Artikel ist im 50plus Magazin vom Oktober 2017 erschienen.

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