Niklaus von Flüe – Mystiker und Vermittler für den Frieden

Es scheint paradox, dass gerade jenen, die sich von der Welt zurückziehen, ein tieferes Verständnis für grössere Zusammenhänge und Lösungen zuteil werden. In Asien gibt es eine Jahrtausende alte Kultur von Yogis, denen sich durch ihre weltliche Entsagung zeitlose Wahrheiten offenbaren. Auch in der europäischen Kultur ist eine alte Tradition von christlichen Mystiker/innen verankert, die sich dem spirituell-kontemplativen Leben widmen. Ein grosser Mystiker des Spätmittelalters, der einging in die Weltgeschichte als Friedensstifter, Visionär und mystischer Seher, war der Schweizer Nationalheilige Niklaus von Flüe.

VON MARCELLE DE MICHIEL

Bruder Klaus: Holzschnitt von 1518 – Foto: bruderklaus.com

2017 ist das Jahr des Gedenkens, anlässlich des 600-jährigen Jahrestages von Niklaus von Flüe. Eine Zeit, welche wichtige ethische Denkanstösse in die Welt der Gegenwart tragen wird. Wer war dieser umsichtige Schweizer? Was wäre Niklaus von Flüe für ein Mensch heute, 600 Jahre später? Würde er als sozialer Reformer regelmässig internationale Politiker, Intellektuelle, Künstler und suchende Menschen aller Traditionen in die Innerschweiz nach Ranft in seine Einsiedelei, zu Friedenstreffen einladen? Womöglich.

Geboren am 21. März 1417, wuchs in Flüeli bei Sachseln im Kanton Obwalden, in einfachen bäuerlichen Verhältnissen, ein bodenständiger, starker Mensch heran, der früh begann, sich mit den politischen Missständen des europäischen Spätmittelalters, den Kriegstreibereien und der zunehmenden Genuss- und Besitzgier, in die sich immer mehr Menschen verwickeln liessen, zu beschäftigen. Seine Beobachtungen lösten in ihm grundlegende Fragen über das Wesentliche im Menschsein und eine starke Sehnsucht nach dem «Einig Wesen», der Einswerdung mit dem Göttlichen, aus.

Entsprechend der damaligen Zeit, ging er zunächst den vorgezeichneten Weg der Wehrpflicht als Soldat und den Tätigkeiten als Landwirt, später dann zog es ihn als Landrat in die Schweizer Politik und er wurde Schlichtungsrichter. Zeitlebens genoss er ein breites Ansehen, das Schweizervolk mochte den schlichten, von Gerechtigkeit erfüllten Bauerssohn und seine geliebte Frau Dorothea Wyss, mit der er 1446 den Bund der Ehe schloss und fünf Töchter und fünf Söhne zur Welt brachte.

Im Alter von 48 Jahren, 1465, auf dem Höhepunkt seiner weltlichen Karriere – der soziale Aufstieg und familiäres Glück waren ihm gelungen –, geriet Niklaus von Flüe, immer wieder heimgesucht von Vorahnungen und mystischen Visionen, in eine tiefe Sinn- und Lebenskrise. Es begann für alle eine schwierige Zeit des Suchens nach Lösungen. Zwei Jahre später kam es zum Bruch und politischen Skandal, und er nahm schliesslich, mit der Einwilligung seiner Familie, endgültig Abschied von seinem weltlichen Leben.

Chlisterli-Kapelle: Die Alp Chlisterli gehörte Niklaus von Flüe. Hier hat er sich nach seiner Rückkehr aus dem Elsass versteckt. – Foto: bruderklaus.com

Nach einigen Umwegen fand er in einer einfachen, kleinen Hütte in der Ranftschlucht bei Flüeli, unweit seiner Familie, den richtigen Ort. Dort verbrachte er die darauffolgenden 20 Jahre, grösstenteils in stiller Kontemplation und in Gebeten oder er wendete sich Ratsuchenden zu. Im Laufe der Zeit wurde an seine Hütte eine kleine öffentliche Kapelle angebaut. Seine weitreichenden Fähigkeiten, versöhnend zu vermitteln, hatten sich herumgesprochen. Die Menschen strömten von nah und fern in die Schweiz. Seine Nächstenliebe, die bedingungslose Hingabe und seine Nahrungslosigkeit, die über viele Jahre hinweg völlige Abstinenz von Essen und Trinken bedeutete, waren von starker Anziehungskraft. Doch die Tatsache, dass ein friedliebender, fastender Einsiedler durch den Weg der Innerlichkeit 20 Jahre ohne Nahrung auskommen konnte, machte die Menschen auch misstrauisch.

Mystik und Fasten stehen seit jeher in einer geheimnisvollen Verbindung zueinander und sind naturwissenschaftlich nur schwer erklärbar. Dies rief die katholische Kirche auf den Plan. Bruder Klaus wurde unter Beobachtung gestellt, Bischöfe zur Prüfung und schlussendlichen Beweisführung entsandt. Die Ranftkapelle ist heute ein Bestandteil des offiziellen Jakobsweges, jährlich pilgern viele hunderte Menschen durch die Ranftschlucht auf ihrem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, halten dort Rast und meditative Einkehr.
Überliefert ist ebenfalls, dass Klaus von Flüe für seine kontemplative Praxis ein geometrisches Bild, das Radbild wählte. Es wird auch als das Sachseler Meditationsbild bezeichnet. Dies Radbild symbolisierte sein Verständnis über das «Einig Wesen» von Gott und half ihm in der Betrachtung. Das Zentrum steht für das Göttliche, von dem alle Kraft ausströmt und zurückfliesst – es war das, wonach er sich zu Lebzeiten sehnte und sein späteres Leben vollkommen ausrichtete. Mandalas, aus dem altindischen Sanskrit übersetzt, sind Kreise, um deren Zentrum sich alles dreht, sie dienen seit jeher in vielen alten Kulturen der Welt als visuell-geometrische Hilfsmittel, komplexe mystische Zusammenhänge besser verstehen und verinnerlichen zu können.

1487 verstarb der Schweizer Schutzpatron im Alter von 70 Jahren und wurde in der Pfarrkirche zu Sachseln unter dem Zelebrationsaltar, in einem silbernen Sarkophag beigesetzt. 1947, 460 Jahre später, ernannte Papst Pius XII ihn offiziell zum Friedensheiligen. Bis heute ist Niklaus von Flüe mit grosser Wirkkraft, nicht nur in der Schweiz, sondern der Welt, ein herausragender Vermittler für den Frieden geblieben.

Lesen Sie auch unser Interview über Niklaus von Flüe mit Pirmin Meier, Historiker und promovierter Germanist.

Weitere Infos unter: www.bruderklaus.com und www.mehr-ranft.ch

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