«Es braucht den Mut, zu verzichten»

Gabriella Wetli ist über 1,90 Meter gross. Und gerade die ganz Kleinen haben es ihr angetan. In ihrem Studio in Hägglingen arbeitet die Fotografin vornehmlich mit kleinen Erdenbürgern, die erst ein paar Tage alt sind.

VON BENEDIKT LACHENMEIER

Mit viel, viel Geduld und einer grossen Portion Liebe hält die 57-Jährige Momente für die Ewigkeit fest. Aber auch Eltern mit grösseren Kindern sind willkommen. Gabriella ist Neugeborenen- und Kleinkindfotografin. Dabei hatte die Aargauerin gar nie vor, sich selbstständig zu machen. Schon gar nicht als Fotografin. Schliesslich war sie Vizedirektorin bei einer Bank, das Fotografieren nur ein Hobby. «Das Bankgeschäft hat mir absolut gefallen und die Arbeit war spannend. Aber ich hätte wohl das berühmte Burnout bekommen», ist die ehemalige Angestellte einer Privatbank überzeugt.

Fotos: Gabriella Wetli, https://kleinefuesse.ch

«Plötzlich hatte es Klick gemacht. Mir wurde alles zu viel.» Sie entschied sich, zu kündigen, um sich ein Jahr lang nur ihrem Hobby zu widmen. «Und dann sagten alle: Toll, du machst dich selbstständig.» Dabei verfolgte sie diesen Plan zuerst gar nicht. Für ihr Umfeld war die Selbstständigkeit der logische Schritt, weil Gabriella bereits seit 30 Jahren die Kamera in der Hand hielt und auch schon an Hochzeiten fotografierte. «Irgendwie hatte ich doch das Gefühl, das dies vielleicht ein Hinweis sein könnte.» Also absolvierte sie eine Fotografie-Ausbildung, suchte gar keine Stelle mehr auf der Bank. Die frisch diplomierte Fotografin hatte es tatsächlich versucht. «Es hat mir extrem gut gefallen, aber ich war ziemlich blauäugig. Ich sass im Studio und dachte: Warum läutet das Telefon nicht?» Ein Businesscoach musste her. Dieser zeigte der ehemaligen Vizedirektorin Marketingstrategien auf und riet, auf Firmenfotografie zu setzen. Das mit den Babys funktioniere nicht. Zuerst hat sie auf die Ratschläge gehört, merkte aber bald, dass ihr Herz nicht für diese Arbeit schlägt. «Obwohl mir dieser Coach davon abriet, hab ich gesagt: Ich will mich auf die Babybauch-, Neugeborenen- und Kleinkindfotografie spezialisieren.»

Seit drei Jahren arbeitet Gabriella nun fast ausschliesslich mit den kleinen Models. Und immer mehr finden den Weg in ihr Studio mit dem Namen Kleine Füsse Fotografie. «Wenn Eltern mit ihren kleinen Schätzen zu mir kommen, geht mein Herz auf. Es gab aber auch schon Mütter, die vor Freude in Tränen ausbrachen, weil ihre Babys so herzig aussahen.» Es ist wie bei der Bank: Die Arbeit braucht Disziplin. Die Fotografin muss sehr genau arbeiten. Zudem gibt sie den Eltern vor dem Besuch im Studio eine Checkliste ab. Dort erinnert Gabriella beispielsweise daran, genügend Windeln einzupacken und weist darauf hin, entspannt zu bleiben. «Neugeborene sind extrem feinfühlig und merken sofort, wenn etwas Spezielles los ist.» Mit der Zeit ist die Fotografin
zur Babyexpertin geworden. Sie selbst hat keine Kinder. «Für mich ist die Babyfotografie keine Kompensation für eigene Kinder. Es ist ja auch nicht jede Hebamme Mutter.» Während die Babys beim Shooting nicht immer komatös schlafen und viel Geduld gefragt ist, braucht sie bei den grösseren Kindern beim Fotografieren manchmal etwas Geschick. Zum Beispiel setzt sie zur Ablenkung eine Plüschente auf die Kamera. «Dieser Trick funktioniert meistens», lacht die Aargauerin. Gabriella hat Gottvertrauen, dass es auch in Zukunft mit der Selbstständigkeit klappt. «Es braucht Opferbereitschaft bzw. den Mut zu verzichten. Ich habe den Willen, mich ständig weiterzubilden – auch in Bezug auf die Arbeit mit den Neugeborenen. Von der Bank vermisse ich tatsächlich nur die regelmässigen, höheren Lohnabrechnungen und sonst nichts. Es ist einfach grossartig, dass ich eine Dienstleistung erbringen kann, die beiden Seiten pure Freude bereitet.» Um kein Geld in der Welt würde die Fotografin wieder in ein Angestelltenverhältnis zurückkehren wollen.

Dieser Bericht erschien erstmals in der August 2018 Ausgabe des Magazins 50plus.

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