Richtig handeln bei Hirnschlag – Unsichtbar krank

Etwa 16 000 Menschen erleiden in der Schweiz jährlich einen Schlaganfall. Wer ihn überlebt, steht oft vor einem neuen Leben. Dass der Kopf danach in Trümmern liegen kann und der Mensch von vor dem Hirnschlag vielleicht nie wieder auftaucht, sieht man den Betroffenen aber selten an. Was passiert, wenn einen der Schlag trifft? Wohin führt der Weg, wenn die Notaufnahme überstanden ist – wie lange hilft Rehabilitation und was kommt danach? Fachpersonen und Betroffene erklären.

Von Nadine A. Brügger, gesundheitheute

Prof. Dr. med. Marcel Arnold, Foto: Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital Bern

Jährlich sterben in unserem Land rund 4000 Menschen nach einem Hirnschlag. Er ist damit nach Krebs und koronaren Herzerkrankungen die häufigste Todesursache – und wichtigster Grund für eine Behinderung im Erwachsenenalter. Dabei könnten mit raschem Handeln grosse Schäden oder gar der Tod vermieden werden. «Weil ein Hirnschlag selten Schmerzen verursacht, werden die typischen Symptome (siehe unten) oft verkannt und eine Alarmierung der Ambulanz erfolgt zu spät», sagt Prof. Marcel Arnold, Präsident der Schweizerischen Hirnschlaggesellschaft. Minuten entscheiden bei einem Hirnschlag über Leben und Tod. Sekunden bestimmen, ob ein Betroffener jemals wieder gehen und sprechen kann, sich mit beiden Händen das Hemd zuknöpfen und seinen gesamten Körper fühlen wird.

«Bei einem Hirnschlag geht Gewebe im Gehirn zugrunde», sagt Arnold, der auch das auf Hirnschlag spezialisierte Stroke Center am Berner Inselspital leitet. Der Hirnschlag hat zwei Untergruppen: Infarkt und Blutung. Arnold erklärt den Unterschied: «Von einem Hirninfarkt sprechen wir, wenn eine Arterie durch ein Gerinnsel verstopft wurde. Dann fliesst das Blut nicht mehr hindurch und kann das Gewebe nicht mehr mit Sauerstoff versorgen.» In jeder Minute ohne Sauerstoff gehen tausende von Zellen im Gehirn kaputt. Dieser Fall betrifft etwa 85 Prozent aller Hirnschläge. Bei der viel selteneren Hirnblutung dagegen tritt Blut durch eine verletzte Arterie ins Gehirn oder unter die Hirnhaut.

Blutung oder Infarkt beim Hirnschlag?

Beide Formen des Hirnschlags zeigen dieselben Symptome, sind aber in der Akutbehandlung grundverschieden: Was bei einem Infarkt lebensrettend wirkt, kann bei einer Blutung tödlich sein. «Bei einem Herzinfarkt wird das Blut verdünnt, um seinen Fluss zu begünstigen. Macht man das bei einer Blutung, wird diese verstärkt, statt eingedämmt.» Es ist darum essenziell, dass sich Mediziner erst ein Bild der Situation machen, bevor sie Behandlungsmassnahmen einleiten: Das MRI (Magnetresonanz-Imaging), die «Röhre», oder die Computertomografie (CT) zeigen an, wo ein Infarkt oder eine Blutung vorliegt. Sobald klar ist, dass es sich um einen Infarkt handelt, «ist es lebenswichtig, das Gerinnsel so schnell als möglich aufzulösen oder zu entfernen, damit das Blut wieder ungehindert fliessen kann». Dem Patienten wird intravenös Blutverdünner verabreicht. Zudem hilft ein sogenannter Stent Retriever – eine Art zusammengefaltetes Gitter.

Computertomograph

Dieses wird durch die Halsschlagader ins Hirn, am Gerinnsel vorbeigeführt und danach aufgeblasen. So kann das Gerinnsel aus der Arterie herausgezogen werden. «Das Blutgerinnsel verfängt sich im Gitter und man zieht beides gemeinsam heraus.» Das Gerinnsel entsteht oft in einer grossen Halsarterie oder im Herzen, «spickt hoch und bleibt in einer Hauptarterie oder den fein verästelten Arterien des Gehirns stecken». Gelegentlich entsteht das Gerinnsel auch durch das Aufbrechen von sogenannten Plaques (Ablagerungen in den Blutgefässen) direkt in den Hirngefässen.

 

Lautet die Diagnose dagegen Hirnblutung, müssen der Blutdruck stabilisiert und die Vitalfunktionen sichergestellt werden. «Operative Eingriffe zum Ausräumen der Blutung können Schaden anrichten und werden nur bei sorgfältig ausgewählten Patienten durchgeführt», begründet Arnold. «Mit einem Katheter kann das Blut aber abgesaugt werden.» Schwillt das Gehirn aufgrund der Blutung stark an, muss ein Teil des Schädelknochens geöffnet werden, im Platz zu schaffen. «Das Hirn kann sich dann ausbreiten, so gehen aufgrund des reduzierten Drucks nicht noch mehr Hirnareale kaputt», sagt der Neurologe. Das entfernte Schädelknochenstück wird nach Abschwellen des Hirngewebes wieder eingesetzt. In der Zwischenzeit müssen Betroffene einen schützenden Helm tragen.

Die Vorwarnung

Manchmal kündigt sich der Hirnschlag mit einer Streifung an. «Sie äussert sich mit den gleichen Symptomen wie ein Hirnschlag, allerdings sind die Beschwerden nur vorübergehend. Darum vernachlässigen viele Patienten den Vorfall», bedauert Arnold. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit, in den ersten sieben Tagen nach der Streifung einen richtigen Hirnschlag zu erleiden, um 10 bis 20 Prozent. «Bei der Streifung verstopft, genau wie beim Infarkt, ein Gerinnsel die Arterie und es kommt zur Minderdurchblutung eines Hirnareals. Allerdings kann der Körper die Verstopfung selber auflösen.» Halten die Symptome aber länger als einige Minuten an, gelingt es dem Körper nur noch selten, das eindickende Gerinnsel zu entfernen.

«Darum muss man auch bei einer Streifung so schnell als möglich mit der Ambulanz in ein Stroke Center oder eine Stroke Unit», betont Arnold. Diese Zentren oder Abteilungen befinden sich in Spitälern, die speziell für Hirnschlagpatienten eingerichtet sind. Wie gut sich das Gewebe mit Funktionsstörungen nach einem Hirnschlag erholt und welche Aufgaben von anderen Hirnarealen übernommen werden können, hängt einerseits davon ab, wie schnell der Patient im Spital ist, andererseits von seinem körperlichen Zustand vor dem Hirnschlag.

Fördern, ohne zu überfordern

Bei Bewegungen wie dem Gehen geht die Lernkurve manchmal steiler nach oben

Nach der Behandlung im Stroke Center kann fast jeder zweite Hirnschlagpatient nach Hause. Die andere Hälfte der Betroffenen erwartet eine Rehabilitation. «Für das Leben danach ist eine gute Reha enorm wichtig», sagt René Müri, Leiter der Abteilung für Kognitive und Restorative Neurologie am Inselspital. «Uns geht es einerseits um das Verbessern oder Wiederherstellen der motorischen und neuropsychologischen Fähigkeiten, andererseits um das Erarbeiten von Akzeptanz gegenüber dem Ereignis und seinen Folgen.» Man wolle dem Patienten und seinen Angehörigen helfen, unrealistische Vorstellungen abzulegen, ihnen aber gleichzeitig nicht die Hoffnung nehmen. «Wichtig ist, dass wir die Patienten fördern, aber nicht überfordern.» Ist die linke Hirnhälfte betroffen, resultiert dies oft in Sprachstörungen (Aphasie), Bewegungseinschränkungen auf der rechten Seite und Problemen mit der Zahlen-Verarbeitung. Ebenso machen komplizierte motorische Abläufe, wie das Tippen auf einer Tastatur, Mühe. Ist die rechte Hirnhälfte betroffen, ist die räumliche Wahrnehmung und Orientierung gestört, die Konzentration erschwert und die Aufmerksamkeitsspanne geringer. Zusätzlich kann es zu einem Neglect kommen, das bedeutet das Vernachlässigen einer Seite, welche man weder räumlich wahrnimmt noch körperlich fühlt.

Gedächtnis und Emotionen dagegen bleiben er halten. Oft hört man, was ein Jahr nach dem Hirnschlag nicht zurück sei, käme nicht wieder. «Das stimmt nicht!», ruft Müri vehement aus. «Gerade das Sprechen ist ein so komplexer Vorgang, der die Regeneration bis zu  zwei Jahre beanspruchen kann. Auch Handbewegungen sind sehr komplex, sodass sie im Gehirn viel Raum und nach einem Hirnschlag viel Zeit zur Rehabilitation benötigen.» Bei Bewegungen wie dem Gehen geht die Lernkurve manchmal steiler nach oben. «Das liegt daran, dass diese Art der Fortbewegung schon sehr lange in unserem Nervensystem abgespeichert ist.»

Schauen Sie sich auch die Sendung von gesundheitheute zu diesem Thema an.

Richtig handeln bei Hirnschlag

Warnsignale
  • Flüchtige Gefühlsstörung oder Lähmung eines Armes, einer Hand oder eines Beines
  • Vorübergehende Sprachstörung
  • Vorübergehende Sehstörung, wie z. B. Doppelbilder
  • Plötzlicher, aber vorübergehender Schwindel
Symptome bei Hirnschlag
  • Plötzliche, jedoch andauernde Schwäche, Lähmung oder Gefühlsstörung einer (selten beider) Körperhälfte. Betroffen sind Arme, Beine und das Gesicht
  • Plötzliche Sehstörung; oft Blindheit auf einem Auge oder Auftreten von Doppelbildern
  • Sprachstörungen und Verständnisprobleme
  • Starker Schwindel mit Unfähigkeit zu Gehen
  • Starke Kopfschmerzen (selten beim Hirninfarkt, öfter bei der Hirnblutung)
  • Achtung: Oft ist ein Hirnschlag schmerzlos, weshalb viele zu spät Hilfe holen
Richtig reagieren
  • 144 wählen
  • Patienten sicher lagern
  • Vitalfunktion sicherstellen und enge Kleider, Krawatten oder Büstenhalter öffnen
  • Zeitpunkt des ersten Auftretens der Beschwerden notieren.
  • Keine Medikamente verabreichen
Risikofaktoren

Bereits erlebter Schlaganfall oder Streifung, zunehmendes Alter, Arteriosklerose (Arterienverkalkung: Dabei lagern sich Cholesterin, Kalk und Bindegewebe in den Gefässwänden ab), Bluthochdruck, Rauchen, hohes Cholesterin, Herzkrankheiten

Weitere Risikofaktoren sind: Übergewicht, ungesunde Ernährung, übermässiger Alkoholkonsum, Migräne mit Aura, Antibabypille über viele Jahre, andauernder Stress

Prävention:

Regelmässiger Blutdruck-Check, Nichtrauchen, ausgewogene, mediterrane Ernährung, Sport (optimal sind 30 Minuten/Tag, mindestens aber: 3-mal/ Woche durch Bewegung richtig ins Schwitzen kommen), Stress vermeiden oder reduzieren, regelmässige Gesundheits-Checks beim Hausarzt

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