DAS GEHIRN

Hundert Milliarden Nervenzellen hat das Gehirn eines erwachsenen Menschen. Das ist gleich viel, wie es Sterne in der Milchstrasse hat, und 15mal mehr, als es Menschen auf der Erde gibt. Jede einzelne Nervenzelle kann Kontakt mit 20’000 anderen knüpfen. Das Gehirn, nicht viel schwerer als ein Kilogramm, ist damit die komplexeste uns bekannte Struktur im Universum.

von Prof. Christian W. Hess, Präsident Schweizerische Hirnliga

Das Gehirn steuert unseren Körper, unsere Sinne und Gefühle. Es verarbeitet Erfahrungen und passt sich auf wundersame Weise an neue Situationen an. Und wir wissen heute, dass es ein Leben lang Neues lernt.

Die Hirnrinde
Die Hirnrinde verdankt ihre grosse Oberfläche den vielen Furchen, Einstülpungen und Falten. Nur so finden die Milliarden von Nervenzellen, die ein gesundes Gehirn zum Funktionieren braucht, auch genügend Raum. Alle menschlichen Tätigkeiten, das Wissen, Können und Fühlen, die Fähigkeit zu denken, zu analysieren und wahrzunehmen, lassen sich bestimmten Regionen in der Hirnrinde zuordnen und sind durch ein grosses Netzwerk miteinander verbunden.

Das Limbische System
Das Limbische System ist eines der Zentren der Gefühle und der Emotionalität. Es steht auch im Dienste des Gedächtnisses und des Geruchsinns. Hirnrinde (Cortex) und Limbisches System arbeiten eng zusammen. Deshalb sind auch Wissen und Gefühle immer miteinander verbunden. Heute weiss man, dass die optimale Verbindung zwischen dem Limbischen System und der Hirnrinde erst im Alter zwischen 40 und 60 Jahren zustande kommt. Diese gewonnene Balance zwischen Gefühl und Wissen ist die Grundlage der Altersweisheit.

Das Kleinhirn
Das Kleinhirn, das durch seine Faltstruktur wie eine reich verzierte Baumkrone aussieht, dient der Verfeinerung und Koordination der Bewegungen. Es übernimmt wichtige Aufgaben für das Gleichgewichtsgefühl und steuert die Augenbewegungen.

Das Stammhirn
Das Stammhirn schliesslich, der Anfang des Rückenmarks, ist das wichtigste Koordinationszentrum für alle lebensnotwendigen Funktionen wie Atmung, Kreislauf und Verdauung.

Nervenzellen
Nervenzellen im Gehirn können Reize aus der Aussen- und der Innenwelt übertragen. Das geschieht über elektrische Signale, die sich entlang der langen Nervenfortsätze bewegen. Tritt eine Nervenzelle mit der nächsten in Kontakt, werden die elektrischen Signale zu chemischen. Als Botenstoffe (Neurotransmitter) überqueren sie den schmalen Spalt zwischen den Zellen und leiten die Information zur Nachbarzelle weiter. Dort werden sie von Rezeptoren in der Wand der Nervenzelle (Membran) empfangen. Viele Medikamente und Drogen wirken, indem sie sich an die Rezeptoren anlagern und so die Signalübertragung im Nervensystem verändern. Die Nervenzellen und ihre Fortsätze bilden im Gehirn ein dichtes Geflecht. Dieses ist nicht starr, sondern kann sich verändern.

Wie sich das Gehirn entwickelt
In den ersten drei Lebensjahren entwickelt sich das Gehirn explosionsartig. Als Reaktion auf die vielen neuen Reize aus der Umwelt des Kindes bilden seine Nervenzellen unzählige Kontakte (Synapsen) untereinander. Dieser Vorgang wird als «Blühen» bezeichnet, weil er an die Blumenpracht eines Sommergartens erinnert. Das Gehirn eines Dreijährigen ist dabei mehr als doppelt so aktiv wie das eines Erwachsenen. Aber es ist weniger effizient: Die Geschwindigkeit, mit der Reize übermittelt werden, ist etwa 16-mal geringer. Am Ende ist die Anzahl der Synapsen doppelt so hoch wie bei einem Erwachsenen. Dann werden nicht gebrauchte Synapsen wieder abgebaut, eine Phase, die als «Stutzen» bekannt ist. Das Gehirn wird sozusagen feinjustiert. In der Pubertät und den Jugendjahren werden die langen Verbindungen im Gehirn optimiert, indem die Nervenfasern mit dickeren Markscheiden (Myelinschicht) versehen werden. So können Nerven schneller miteinander kommunizieren. Das geschieht auch mit dem sogenannten «Balken», der die beiden Hirnhälften enger verbindet. Auch ab zwanzig Jahren entwickelt sich unser Gehirn dynamisch und wird zunehmend vernetzter. Im mittleren Lebensalter nimmt die Geschwindigkeit der Verarbeitung von Sinneseindrücken zwar immer mehr ab, doch andere Fähigkeiten wie das Verständnis von Begriffen und das Einfühlungsvermögen nehmen zu. Und es gibt einzelne Bereiche im Gehirn, zum Beispiel im Gedächtnissystem, wo sich lebenslang neue Nervenzellen bilden können.

Das Gehirn bleibt auch im Alter formbar
Im hohen Alter wird die schützende Fettschicht um die Nerven, das Myelin, wieder abgebaut. So werden elektrische Signale im Hirn langsamer übertragen. Heute wissen wir aber: Zwischen dem zwanzigsten und dem neunzigsten Lebensjahr nimmt die Anzahl Hirnzellen nur um etwa zehn Prozent ab, und auch im hohen Alter bleibt das Gehirn plastisch. Es bildet noch immer neue Synapsen! Das heisst, das Gehirn entwickelt sich ein Leben lang. Es knüpft auch im hohen Alter noch neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen, verstärkt sie oder baut sie ab, je nach Gebrauch. Deshalb ist es wichtig, sein Gehirn zu beschäftigen, indem man neugierig bleibt und stetig Neues lernt.

 

Die Schweizerische Hirnliga

Die Schweizerische Hirnliga unterstützt die Hirnforschung in der Schweiz. Spenderinnen und Spender erhalten viermal jährlich das Magazin «das Gehirn» mit neusten Erkenntnissen aus der Hirnforschung und kniffligem Denksport. Tipps für ein gesundes Gehirn finden Sie auch auf www.hirnliga.ch