Anlässlich der Expertenveranstaltung “5. Demografie Dialog Schweiz”, welche vom WDA Forum St. Gallen durchgeführt wird, haben Vertreter von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft das Thema “Anreize für eine aktive Pensionierung” behandelt und es wurden die Herausforderungen für eine «Demografie-taugliche Pensionierung» (2030 sind 2.2. Millionen Menschein der Schweiz über 65 Jahre alt) aufgegriffen sowie kreative Denkanstösse für notwendige Reformen in der Schweiz generiert.

2015 lebten in der Schweiz 1.5 Mio. Menschen, die über 65 Jahre alt waren. 2030 werden es 2.2 Mio. sein. Das entspricht einer jährlichen Zunahme in der Grössenordnung der Einwohnerzahl der Stadt Thun (45’000 Personen Abb. 1).

Bis 2030 wächst die Gruppe der 65+ -jährigen im Durchschnitt um 45‘000 Personen pro Jahr. Ab 2030 schwächt der Wachstum ab, bleibt aber bei 32‘000 Personen jährlich. (Quelle: Referenzszenario A-00-2015 des BFS)

 

Immer mehr Menschen in der Schweiz leben länger und bleiben erfreulicherweise bis ins hohe Alter erstaunlich aktiv und mobil. Fakt ist aber auch: Die Berechnungsgrundlagen unserer Vorsorgewerke gehen von einer geringeren Lebenserwartung aus und die Erwerbspersonen (u.a. Grundlage eines funktionierenden Generationenausgleichs) entwickeln eine andere Dynamik. Von 2015 bis 2045 nehmen die über 65-Jährigen um ca. 1.1 Mio. zu, während die erwerbsfähigen 20- bis 65-Jährigen nur um 450’000 zunehmen; so die Annahme des Bundesamts für Statistik (vgl. Abb. 2).

Die Erwerbspersonen nehmen bis 2045 um 450‘000 zu, gleichzeitig steigt die Anzahl der 65-jährigen und älteren Personen pro 100 Erwerbspersonen deutlicher an. Die Konsequenz: Die Bruttoerwerbsquote sinkt, der Generationenausgleich ist unausweichlich gefordert! (Quelle: BFS, 2015)

Der Anteil der Älteren in unserer Gesellschaft wird deutlich zulegen und dies stellt unsere Lebenspläne in Bezug auf Familiengründung, Ausbildungswege, berufliche Karrieren und schliesslich unsere Altersvorsorge vor eine bisher nie dagewesene Harausforderung. Unsere Altersvorsorge ist auf ein 100-jähriges Leben (bzw. auf eine 30-jährige Ruhestandsphase) schlichtweg nicht vorbereitet. Daher braucht es Anreize für eine aktive Pensionierung – denn nur so werden die sich bereits heute abzeichnenden Rückgänge in den Pensionszusagen aus der 2. Säule verkraftbar.

Wer hat überhaupt Interesse und was sind die Herausforderungen?

Diese Frage ist aus der Perspektive der Arbeitnehmenden, der Arbeitgebenden sowie der gesamten Volkswirtschaft zu betrachten. Bei den Arbeitnehmenden gibt es vor allem Handlungsbedarf bei den weniger gut Qualifizierten. Gerade diese Gruppe ist in den kommenden Jahren mit den grössten Problemen konfrontiert, wie sie alleine mit ihren Renten und Ersparnissen auskommen werden. Zudem ist es für diese Bevölkerungsgruppe auch am schwierigsten, ihre Motivation für weitere berufliche Aktivitäten zu steigern. Dies gilt auch dann, wenn man klar aufzeigt, dass mit der Pensionierung die finanzielle Ausstattung nicht so komfortabel sein wird wie ursprünglich angenommen. Arbeitsmarktfähigkeit wird im grossen Mass über Qualifikation und Gesundheit bestimmt. Es stellt sich also die Frage, wie wir zukünftig mit lebenslanger Bildung und Qualifikation umgehen und gleichzeitig durch Gesundheitsförderung und Prävention unsere Gesundheit erhalten. Bei den Arbeitnehmenden mit guter Qualifikation besteht wenig bis kein Handlungsbedarf angesichts gut gefüllter Vorsorgerücklagen. Unter dem Aspekt eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels, sollte allerdings eine geeignete Weiterbeschäftigung für möglichst viele zum erstrebenswerten Ziel werden. Bereits heute werden qualifizierte Betroffene selbst initiativ und finden oft eine Beschäftigung. Einerseits arbeiten gemäss Höpflinger (2014) bis 31% von ihnen über das Pensionsalter hinaus (inkl. Selbständigerwerbende), andererseits sind die Unternehmen bezüglich dieser Gruppe sehr innovativ und behalten sie im Arbeitsprozess. Die Herausforderung hier ist auf Seite der Arbeitgebenden mit unternehmerischen Initiativen noch mehr Fachkräfte nach der Pensionierung behalten zu können um dem Fachkräftemangel aufgrund der demographischen Alterung entgegenwirken zu können. Momentan scheint der Leidensdruck noch nicht gross genug zu sein. Es wird noch genügend „jüngerer Ersatz“ gefunden und das Hochlohnland Schweiz ist weiterhin attraktiv für gut qualifizierte Arbeitsmigranten. Zudem ist die Verlängerung der gesetzlichen Arbeitszeit über 65 Jahre ein „heisses Eisen“, welches Parteien nur ungern aufgreifen. Volkswirtschaftlich und sozialpolitisch liegt die grosse Herausforderung vor allem in der Motivation der unteren Quintile der Bevölkerung länger im Erwerbsleben zu bleiben. Gemäss einer neueren Studie erhalten diese Bevölkerungsgruppen oft sehr kleine Renten und sind daher überdurchschnittlich häufig auf Ergänzungsleistungen angewiesen (vgl. Abb. 3).

Rentnerhaushalte im ersten Quintil beziehen ihr monatliches Einkommen hauptsächlich aus der AHV. (Quelle: Credit Suisse AG, 2017)

Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit verlangt körperliche und geistige Gesundheit. Die Eigenverantwortung bezüglich Prävention und gesundem Lebensstil ist allerdings ungenügend, insbesondere bei Bevölkerungskreisen ohne Tertiärausbildung. Körperlich schwere Arbeit ist nicht gleichzusetzen mit körperlicher Fitness und bis ins hohe Alter nur durch regelmässiges Training in gutem Umfang zu erhalten. Gesundheitsprogramme (z.B. in deutschen Grossbetrieben) beweisen, dass sich Fehltage durch regelmässige Check-ups und Coaching zu gesundem Verhalten (bspw. bezüglich Nikotin, Alkohol, körperlicher Aktivität) sowie Arbeitsplatzanpassungen, drastisch reduzieren lassen. Diese Massnahmen verbessern den Gesundheitszustand und machen damit eine Beschäftigung über die reguläre Pensionierung hinaus möglich. Zudem spielt auch die Freude an der Tätigkeit eine wichtige Rolle – wer Spass an seiner Arbeit hat und damit wohl auch richtig eingesetzt ist, ist auch eher gesund und weniger oft krank.

Mögliche Anreize

Um Anreize für eine aktive Pensionierung zu schaffen, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen, das Bildungsangebot und die Arbeitsmodelle angepasst sowie die Eigenmotivation der Arbeitnehmenden erhöht werden. Der momentane kulturelle Wandel, bei welchem die Arbeit immer mehr als Lebensinhalt und nicht als unausweichliches Schicksal angesehen wird, steht dem „gesetzlich zementierten“ Rentenalter diametral gegenüber. Aus diesem Grund sollte die „heilige Kuh Rentenalter“ überdacht werden. Überlegenswert vor dem Hintergrund eines immer längeren gesunden Lebens wäre z.B. eine temporäre „Ruhepause“ nach Eintritt des Pensionsalters. Ziel wäre eine Regeneration für einen wie immer gearteten beruflichen Wiedereinstieg bspw. auch in eine neue resp. andere Beschäftigung. Dies erfordert jedoch Änderungen im Arbeitsrecht sowie im Weiterbildungsangebot, um vor der Pension stehende Arbeitskräfte neu zu qualifizieren. Wie bereits erwähnt: Das Mantra für die Arbeitsmarktfähigkeit lautet Qualifikation und Gesundheit. Eine mögliche Antwort hierfür sind Weiterbildungsgutscheine, die unter der Bedingung des längeren Arbeitens einlösbar sind. Unternehmen könnten so mitbestimmen in welche Richtung die Weiterbildung gehen soll und durch individuelle Bildungsfonds ihre Mitarbeitenden finanzieren, was zugleich auch steuerlich attraktiv wäre.

Nebst der Regeneration für einen Wiedereinstieg, braucht es auch flexible Beschäftigungsmodelle. Denkbar wäre die Reduktion des Beschäftigungsgrades. Das Pensum eines Mitarbeitenden reduziert sich ab einem gewissen Alter und pendelt sich beim konstanten Niveau von z.B. 40% ein (vgl. Abb. 4) oder man kombiniert einen flexiblen bzw. reduzierten Beschäftigungsgrad mit einem Zeitkonto.

Ein Unternehmen verschafft sich durch eine Beschäftigungreduktion Zeit für die Nachfolgeregelung und ermöglicht dem Mitarbeitenden eine wichtige Rolle im Übergangsprozess einzunehmen. Gleichzeitig geht der Wechsel in die Pension stufenweise vonstatten. (Quelle: Continuum AG, 2017)

 

Mitarbeitende leisten hier effektiv mehr Arbeitsstunden als vertraglich festgelegt. Der Mitarbeitende gewinnt mehr Flexibilität, indem er zusätzlich zu seiner normalen gesetzlichen Ferienzeit mehr Zeit für längere Auszeiten zur Verfügung hat. Während dieser Auszeit wird der Lohn des vereinbarten Pensums unverändert ausbezahlt2. Vorteil für das Unternehmen ist die bessere Planung für eine personelle Abdeckung während der Hochsaison und in projektintensiven Phasen (vgl. Abb. 5).

(Quelle: Continuum AG, 2017)

Bei allen Modellen sind Grundvoraussetzungen wesentlich, so u.a. ein gegenseitiges Einverständnis von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden sowie die Bereitschaft der Mitarbeitenden im Falle einer Reduktion des Beschäftigungsgrades ggf. die Führungsfunktion abzugeben.

Auch im Steuersystem sind Anreize denkbar. Wenn tiefe Renteneinkommen die ordentlichen Lebenshaltungskosten nicht mehr zu decken vermögen und bspw. an Stelle von Ergänzungsleistungen weitergearbeitet wird, soll die sich dadurch ergebende gesamte Steuer- und Abgabebelastung nicht höher ausfallen. Eine Möglichkeit wäre, dass nach der Pensionierung das Erwerbseinkommen nur zum Steuersatz der Renteneinkommen steuerlich belastet wird (vgl. Abb. 6).

Die gegenüber dem Renteneinkommen höheren Steuer- und Abgabebelastung auf Erwerbseinkommen, lässt sich durch die Reduktion des satzbestimmenden Einkommens – Basis Renteneinkommen – ausgleichen. (Quelle: M. Huwiler, Basis Steuerberechnung Nidwalden-Hergiswil, 2017)

 

Dadurch könnte die verhältnismässige Belastung für Steuern und Sozialabgaben bei weiterhin Erwerbstätigen gegenüber den nicht mehr erwerbstätigen Rentenbezügern annährend ausgeglichen werden. Es müsste jedoch noch diskutiert werden, bis zu welchem Einkommen dieses Privileg vergeben wird.

Nächste Schritte

Eine Veränderung von Strukturen und Regelwerken im Arbeitsmarkt und auch der Altersvorsorge bedarf immer einer Mehrheit der Stimmbürgerschaft. Diese kann mit politischen Modellen kaum überzeugt werden, solange nicht mit erfolgreichen Pilotprojekten etwaige Alternativen erprobt und vorgelebt wurden. Unternehmen und Einzelpersonen müssen deshalb mit innovativen Beispielen vorangehen. Wenn sich die Einsicht verbreitet, dass das Neue wirklich funktioniert, gewinnen diese Alternativen Akzeptanz und werden mehrheitsfähig. Zudem ist eine breite Sensibilisierung bzgl. aktiver Pensionierung notwendig und die Wirtschaft muss auch kreativer werden, bestehende Kompetenzen zu erkennen und zu nutzen.

Standpunkt

Vor allem bei den weniger gut qualifizierten zukünftigen Rentnern besteht Handlungsbedarf, dem man sich nicht länger verschliessen darf. Diese Bevölkerungsgruppe hat unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum Möglichkeiten sich zu verändern, was oft mit finanziellen Schwierigkeiten, gesundheitlichen Konsequenzen und geringerem Verständnis für die persönliche Situation einhergeht. Auf der anderen Seite ist der Leidensdruck bei den gut Qualifizierten aufgrund ihrer noch meist stabilen finanziellen Situation oft nicht hoch genug, um initiativ zu werden. Diese Entwicklung der zunehmenden Ungleichheit gilt es in den Griff zu bekommen, denn sie ist letzlich von niemanden erwünscht. Es müssen Lösungen gefunden werden, diese auseinanderdriftende Lücke zu überbrücken.

Das gesamte Dokument finden Sie auch auf französisch, italienisch und englisch unter WDA Forum St. Gallen.

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