“Mich macht es glücklicher, nicht so viel Geld zu haben, dafür voll meinen Traum zu leben”, sagt Profibergsteigerin und Bergführerin Caro North. Ihren Beruf hat die 28-Jährige aus purer Leidenschaft gewählt.

VON BENEDIKT LACHENMEIER

«Mein Kopf hat mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin», sagt Caro North. «Ich habe einen extrem starken Willen und die Bereitschaft, für meine Leidenschaft alles andere aufzugeben.» Gespürt, wohin der Weg einmal führen könnte, hat die Profibergsteigerin bereits als Kind. Unter anderem dank ihren Eltern. Bei gemeinsamen Wanderungen in den Bergen stellten sie fest, dass ihre Tochter gerne steile Passagen hochklettert. «Also haben sie mich als Elfjährige in eine Kinderklettergruppe gesteckt. So hat alles angefangen», lacht die 28-Jährige.

Es folgten die ersten nationalen Wettkämpfe und im Alter von 16 Jahren ging die damalige Austauschschülerin in Argentinien auf ihre erste Expedition zum 6961 Meter hohen Berg Aconcagua. «Die grösste Challenge war nicht die Route, sondern der Papierkram, den meine Eltern erledigen mussten. Ich war ja noch minderjährig», erinnert sich die Wahlschweizerin. Vom Weg abbringen liess sich Caro noch nie. Auch wenn es viele kritische Stimmen gab, als sie den Berufswunsch Profibergsteigerin öffentlich äusserte. «Die
Leute meinen immer, man müsse einen festen Job haben. Mich macht es glücklicher, nicht so viel Geld zu haben, dafür voll meinen Traum zu leben.» Die Eltern hatten Verständnis für ihre Leidenschaft und unterstützen sie auch heute noch. «Sie haben mir die Türen geöffnet. Wenn jemand hinter einem steht, ist es viel einfacher, loszuziehen.» Und das macht die Abenteurerin immer wieder.

2018 hielt sich Caro gerade mal sieben Wochen in Europa auf. Den Rest der Zeit war sie irgendwo sonst in der Welt unterwegs. Am liebsten schläft sie in ihrem VW-Bus. «Da fühle ich mich zuhause. Egal, wo ich gerade bin.» Ihre bisher spektakulärste Expedition führte die Profibergsteigerin bis in die Antarktis. Mit dem Segelboot bewegte sich die 28-Jährige durch das ewige Eis. «Es war ein mega Abenteuer. Aber technisch gesehen nicht das anspruchsvollste.» Vor fünf Jahren erklomm sie nach drei Anläufen als erste Frauenseilschaft ohne Hilfsmittel die 3128 Meter hohe Spitze des Cerro Torre in Patagonien – einer der weltweit am schwierigsten begehbaren Berge.

Seit vergangenem Jahr ist Caro zudem ausgebildete Bergführerin. Als eine von 40 Frauen unter 1300 Männern im Schweizer Bergführerverband leistet sie einmal mehr Pionierarbeit. Aber warum zählt die Vereinigung so wenig Frauen? «Es hat ganz viel mit Tradition zu tun. Insgesamt sind auch mehr Männer beim Bergsteigen unterwegs als Frauen», weiss Caro. Als Bergführerin hat die
28-Jährige bisher gute Erfahrungen gemacht. «Viele sind zwar überrascht, dass eine Frau vor ihnen steht, aber gerade deswegen voll happy. Das Soziale spielt beim Bergführen eine extrem grosse Rolle. Ich glaube, als Frau bist du einfühlsamer. Du musst den Leuten manchmal gut zureden, damit sie ihre Angst überwinden können.» Wie geht die Profibergsteigerin mit den eigenen Ängsten um? «Angst ist eine Lebensversicherung. Aber sie lähmt mich nicht. Du lernst, dich ziemlich gut selbst einzuschätzen. Im Hinterkopf weiss ich, dass etwas passieren kann. Aber ich bin unterwegs zu 100 Prozent konzentriert.»

Ihre extremste Expedition führte Caro North bis in die Antarktis.

Caro ist keine Einzelkämpferin. «Meine Freunde, die mitkommen, sind mir sehr wichtig. Man muss einander vertrauen können. Ausserdem gibt es in abgelegenen Gebieten keine Rettung. Wir können uns nur gegenseitig rausholen.» Freunde hat Caro auf der ganzen Welt. «Aber weil ich so oft unterwegs bin, ist es schwierig, einen festen Freundeskreis zu pflegen.» Eine weitere Kehrseite ihres Traumlebens beschreibt die Profibergsteigerin folgendermassen: «Die grösste Herausforderung ist, damit umgehen zu können, dass nach den Hochs immer wieder Tiefs kommen. Du powerst deinen Körper und deine Psyche voll aus. Auch der Kopf
braucht Zeit zur Erholung.» Um keinen Preis würde Caro ihr Leben aber gegen ein anderes eintauschen wollen. «Ich spüre eine extrem grosse Freiheit. Weil ich jederzeit genau dorthin gehen kann, wo ich es diesen Moment gerade für gut empfinde. Es ist toll, neue Kletterregionen zu entdecken und gleichzeitig andere Kulturen kennenzulernen.»

Dieser Bericht in in der Februar 2020 Ausgabe unseres Magazin 50plus erschienen.