Louis schaute sich in seinem Garten um.

Der kleine, grüne Fleck hinter dem Haus hatte ihm das Leben gemacht – ihm und Herta. Sie waren noch keine zwei Jahre verheiratet gewesen – Herta eben im siebten Monat schwanger –, als ein Arbeitskollege Louis auf das Häuschen in der Siedlung aufmerksam machte: «Es ist nichts Grossartiges. Aber du hast deine eigenen vier Wände. Und noch wichtiger: einen Garten dahinter – ein kleines Tummelfeld für deinen Buben. Hier kann er mal Fussball spielen …»

Es wurde ein Mädchen. Aber dennoch ihr Haus. Louis wuchtete ein Drittel des grünen Landes in einen Gemüsegarten um: «Lucie soll nur gesunde Kost essen!»

Als Lucie aus dem Haus zog, war alles plötzlich viel zu gross. Vor allem der Garten. Es war die Zeit der Mikrowelle und Tiefkühl-Pizzas. Wer wollte da noch lange Gemüse rüsten und waschen. Louis und Herta beschlossen, den Gemüse-Teil auf Blumen umzupolen: Wicken, Sonnenblumen, Rosen. Es war eine gute Ehe. Harmlos. Aber mit dem wunderbaren Zauber des gegenseitigen Verstehens – ohne lange reden zu müssen.

Abend für Abend sassen die beiden im Garten auf ihrer Holzbank. Sie waren stolz auf ihre Blumen – ja, alles wäre friedlich und in Ordnung gewesen, wenn Herta nicht plötzlich den Spleen mit dem Rhododendron gehabt hätte. Sie war ihm im Gartencenter begegnet – und 20 prächtige, scharlachrote Blüten hatten ihr zugenickt: «Nimm uns mit … nimm uns mit …»

Als sie den Busch aus dem Kleinwagen hievte, war Louis erstmals auf hundert: «… sag, dass das nicht wahr ist. EIN RHODODENDRON! Zu heiss angetrieben! Wir sind hier doch nicht in Südirland …» Sie reagierte etwas gereizt: «DARF ICH VIELLEICHT AUCH EINMAL MEIN EIGENES BLUMIGES FREUDELI HABEN?!»

Schweigen. Dann beharrlich: «Aber Rhododendren brauchen saure Böden …» Ok. Ihr Gartenboden war es nicht. Aber Louis. Herta musste den Busch selber einpflanzen. Nach einer Woche fielen die Blüten, wie die Köpfe in der Revolution.

«Bitte!», sagte Louis.

WENN SIE ETWAS HASSTE, DANN SEINE RECHTHABEREI!

Im nächsten Jahr schaute sie immer wieder heimlich, ob sich irgendwo zwischen den grünen Blättern kleine Knospen bilden würden. «Gib’s schon auf!», höhnte Louis von der Küchenterrasse. Dann: «Ich hab’s ja gleich gesagt!» Jahrelang sassen sie nun im Garten – wie immer. Und doch nicht mehr so , wie es mal war.

Sie schauten zu den Blumen. Und übersahen bewusst den immer grünen Strauch, der nie blühen wollte. Nur einmal noch hatte Louis zu Herta auf der Bank gesagt: «Es war herausgeworfenes Geld!» Es kam keine Antwort mehr. Er hatte das letzte Wort gehabt. Seit neun Monaten sass er nun alleine da. Abend für Abend redete er mit Herta – über vieles, das noch hätte gesagt werden sollen. So auch jetzt: «Du kannst mich doch nicht einfach so zurücklassen … Das Einzige, das mir als Trost blieb, ist dein Rhododendronbusch.

DAS BIST DU – eigenwillig, schön, stolz, all das, was ich an dir so liebte …» Als Louis am Tag darauf das Vogelhaus ausbürstete, kam die Nachbarin, eine alte Tratsche, an den Zaun: «Hallo, hallo Herr Nachbar – so ein prächtiger Frühlingstag heute … und Ihr Rhododendron hat sich ein wahres Festkleid übergestreift!»

Louis kehrte sich abrupt zu Hertas Busch um. Zwischen all den Blättern zeigten sich hunderte von scharlachroten Blüten. Am andern Tag wusste die Nachbarin in der Bäckerei herumzuposaunen: «… und da hockt er auf dieser alten Holzbank, schaut in diesen vergammelten Rhododendron-Busch und heult wie ein altes Mädchen.

Soll einer noch die Männer kapieren!»