Eine Prise Krise – Koni Fehr

«Nein, zum Doktor geh ich nicht!» «Er bestätigt doch nur, dass du gesund bist.» «Das weiss ich selber besser». Sagt’s – steigt trotzig ins Auto und braust davon.

Ein bisschen Struwwelpeter? Ein wenig schon. Er hat allerdings keinen Strubel und heisst auch nicht Peter. Sondern Max. Maximilian eigentlich. Ist 74 und hat seine spärlichen Haare sorgfältig über die sich ausbreitende Glatze gekämmt…

Wegen jedem Bobo eilen wir zum Arzt und sind erleichtert, wenn der Onkel Doktor sagt: «Es isch nüt». Doch Max will das nicht hören. Er weiss, dass er gut sieht und hört und ein super Autofahrer ist. So wie alle anderen Fahrer auch. Dafür braucht er nicht alle zwei Jahre eine ärztliche Bestätigung. Auch sein Kollege Philipp hielt sich für einen gesunden Autofahrer – bis er sekundenschlafend frontal mit seinem Mercedes eine korrekt fahrende 17-jährige Rollerfahrerin niederfuhr. Sie wurde schwer verletzt, musste mehrfach operiert werden und verbrachte lange Zeit in der Reha. Sie wird bleibende Schäden davontragen. Lebenslänglich. Und er? Hat das Autofahren nicht aufgegeben. Dafür musste er zum Doktor und kriegt jetzt wohl Medis.

Max und Philipp verbindet nicht nur ihre Auto-Leidenschaft. Sie sitzen beide im nationalen Parlament und vertreten den Kanton Aargau. Philipp im Stände-, Max im Nationalrat. Und was Max nicht mag, ändert er. Er kanns ja, sitzt an der Macht. Sein Vorstoss wurde vom Nationalrat gutgeheissen – bei einem Durchschnittsalter von 52 Jahren verwundert das nicht. Nun geht’s damit in den Ständerat – der ist im Schnitt noch 5 Jahre älter. Die ü50 Parlamentarierinnen und Parlamentarier verfügen mit 167 von 246 Mitgliedern über eine komfortable Zweidrittelmehrheit im Bundeshaus. Der Tunnelblick hat offenbar eine medizinische und eine politische Ausprägung. Verkehrsexperten raufen sich die Haare und laufen Sturm, denn von den 200’000 70 bis 75-jährigen Autofahrern leidet knapp ein Drittel an ungenügender Sehschärfe und an Demenz – an die noch Älteren denken wir schon gar nicht. Und jeder dritte Senior nimmt mehr als 5 Medikamente pro Tag. Im Durchschnitt. Sagt eine Studie. Die Zahl der Unfälle von ü70 nimmt rasant zu. Anzahl und Schwere.

Da ist mir mein Vater doch ein leuchtendes Vorbild: Im Alter von rund 70 Jahren gab er fit und gesund seinen Führerausweis ab. Freiwillig. Der Schalterbeamte beim Strassenverkehrsamt habe nur ungläubig gestaunt.

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