Walter schob die Kaffeetasse weg: «Heute keinen Kaffee, Erna. Haben wir einen Vitaminsaft im Haus?»

Für Erna war das Frühstück das Highlight des Tages. Seit ihrer Pensionierung genoss sie die frühe Morgenstunde zusammen mit Walter bei einem Cappuccino. Entsprechend schaute sie leicht verwundert von ihrem zweiten Gipfel hoch. Sie hatte ihn eben in den Kaffee eintauchen wollen: «Was soll denn das nun wieder?»

«Nichts soll. Und könnten wir statt dieser Gipfel nicht auf Knäckebrot wechseln – ich will für Adelboden fit sein!»

Erna seufzte. Sie hasste es, wenn ihr Alltag durcheinandergebracht wurde. Und der Alltag waren Gipfeli, Kafee und die hausgemachte Quittenkonitüre. Verstimmt ging sie ab in die Küche. In der hintersten Ecke des Geschirrschranks fand sie die Saftpresse. Und gottlob waren noch ein paar Orangen im Haus. «Ich will dieses Jahr wieder auf die Ski!», hörte sie Walters Stimme aus der Stube. «Und da muss ich mich fitnessmässig darauf vorbereiten – heute Mittag gehe ich ins Training …»

Sie hatten beide vor zwei Jahren ein Dreijahresabo in einem dieser Clubs abgeschlossen, wo vorwiegend ältere Menschen in hautengen Hosen wie prallgekochte Würste aussahen. Nach Anleitungen eines jungen, gertenschlanken Peinigers rackerten sich die Leute hier an diesen Maschinen ab, die genauso gnadenlos glänzten, wie die Gesichter der Menschen, die daran herumhangelten.

Erna waren diese Trimmmaschinen ein Greuel.

Schon am dritten Tag war sie wie eine abgefeuerte Kanonenkugel vom Laufband gespult und mit einer 70-jährigen Möchte-gern-Barbie, die ihre Beine stretchte, wie der Metzger die Läufe des Kaninchens, zusammengekracht. Walter wars an den Gewichten auch übel ergangen. Er hatte die rechte Hand zwischen den Gewichten eingeklemmt. Zwei Wochen lang hatte Erna seine aufgeschwollenen Finger, die wie blaugefrorene Cervelats aussahen, mit essigsaurer Tonerde gesalbt.

Natürlich haben sie den Sportpalast trotzdem weiter besucht – immerhin war das Dreijahresabo bezahlt. Und das teure Fitness-Outfit musste auch amortisiert werden. Aber Erna beschränkte sich nun auf Saunabesuche und eine Runde Schwimmen – Walter hockte eh nur noch an der Espresso-Bar, wo er mit der blonden Tschechin hinter der Theke, die ihm tonnenweise Fitnessriegel andrehte, schäkerte.

«Fräulein Svetlana kommt auch nach Adelboden …», lächelte nun Ernas Gatte mit verklärtem Blick ins Leere, als sie ihm den frisch gepressten Jus hinstellte. «… wir wollen mal zusammen auf die Ski!»

Erna sagte nichts. Aber der Gipfel blieb ungetaucht. Und ungegessen.

Walter kaufte sich neue Ski. Und einen hautengen Slalomanzug, in dem er genauso wurstig aussah wie im Fitnessdress. «Wollen Sies nicht auch versuchen? … Bewegung würde ihnen gut tun», gab Svetlana am Frühstücksbufet des Hotels ungefragt Ratschläge an die Adresse von Erna ab.

«Ich bewege meine Ganglien und werde ein gutes Buch lesen …», gab diese etwas spitz zurück. Dann sah sie die beiden, wie die sich schwerfällig wie Astronauten mit Zeitlupenschritten in den klotzigen Skischuhen Richtung Seilbahn davonmachten.

Als vier Stunden später das Handy den Radetzkymarsch dudelte und Svetlana aufgeregt durchpiepste, dass Walter mit dem Rettungsschlitten ins Frutiger Spital gebracht würde, war Erna nicht gross erstaunt. Und als sie ihren Mann, dessen linkes Bein und der rechte Arm eingegipst waren, mit dem Auto abholte, strich sie ihm über den Kopf: «Du Armer … und d a f ü r Knäckebrot …!»

Fräulein Svetlana hat noch am selben Tag mit einem jungen Skilehrer auf der Piste gewedelt.

Als Erna am nächsten Morgen dem vergipsten Walter einen Grapefruitsaft sowie ein handgeschrotetes Müesli an den Hoteltisch schleppte, knurrte der: «Hats nichts Rechtes? Die machen doch hausgebackenen Zopf. Und diese frische Bergbutter …?»

Zu Hause lagen dann Ski- sowie Fitnessdress ganz hinten im Kasten. Ebenso die Saftmaschine. Und das Knäckebrot. «Es geht nichts über ein gutes Frühstück …», trompete ihr Gatte fröhlich. Und grif zur Quittenkonitüre.

«Da hast du Recht, Walter …», lächelte Erna. Und tauchte den zweiten Gipfel in den Kafee.

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