Hören Sie mir bloss auf mit der Pensionierung, der blödesten Erfindung ever und der Kern von vielem Übel.

Von Koni Fehr und Peter Michael Wehrli

Irritiert? Isch recht, soll so sein. Denn eigentlich ist doch die Pensionierung das Ziel, auf das wir hinarbeiten, meinen Sie. Das WinforLife-Los quasi, das uns monatlich ein Einkommen garantiert, ohne dass wir etwas dafür machen müssen. Dann sind wir glücklich. Erst dann. Lebenslänglich arbeiten wir darauf hin – und erreichen es nie! Mein Grossvater Max rackerte sich ab, machte wacker Karriere und ging als Generaldirektor einer Versicherungsgesellschaft frühzeitig in Pension. Ums jetzt noch zu geniessen. Fehlanzeige…. Er erlebte nicht einmal mehr sein ordentliches Pensionsalter. Einzelfall? Mitnichten, Sie selber können locker drei Personen aufzählen, denen es so ergangen ist. Ein Bekannter von mir ging ebenfalls frühzeitig in Rente. Er genoss es, nicht mehr früh aufstehen zu müssen, er genoss es, dass er schon vormittags ein Bierchen zwitscheren durfte, wenn’s ihm danach war. Sein Körper genoss es nicht so. Die Beschwerden nahmen zu, die Vitalität ab, die Tagesstruktur ging verloren. Er ist heute noch keine 70 – aber der körperliche Zerfall ist augenscheinlich und offenbar auch schmerzlich spürbar.

Und was tun wir ü50er? Wir „halten noch durch“, wir machen keine Weiterbildungen mehr („lohnt sich ja nümme“), suchen keinen neuen Job mehr („weisch, so viel verdiene würd ich nümme“) und spulen die Jahre bis zur Rente noch ab in einer Mischung von Gleichgültigkeit und Angst vor dem Jobverlust wegen der Digitalisierung oder wegen China oder Trump oderwasweissichvonwasallem…! Ist ja auch kein Wunder, denn wenn wir den Job verlieren, finden wir keinen neuen mehr. Wir haben ja ein Verfalldatum – mit 65 sind wir für den Arbeitsmarkt nur noch eine Leiche. Oder würden Sie ein Joghurt kaufen, dass morgen abläuft?

So – und nun stellen Sie sich mal vor, die vermaledeite Pensionierungsgrenze gäbe es nicht mehr, die künstliche Limite, ab der ich nicht mehr zu gebrauchen bin und damit würden die 20 Jahre bis 85 auch nicht mehr anbrechen, die ich mit wandern, Rosen züchten, Bierlein trinken oder Jassen erschlagen müsste, weil mich kein Arbeitgeber mehr will. Nein, ich wäre noch im Arbeitsprozess. Und zwar im Umfang, wie ich noch arbeiten kann und möchte. Individuell. Sofort wäre ich für meine Arbeitskollegen nicht mehr das „alte Joghurt“, das nur noch hier ist, weil in seinem Alter man ja eh nichts mehr findet. Nein, ich wäre eine vollwertige Arbeitskraft, die an ihrer Leistung gemessen wird. Und an nichts anderem. Ha, wär das ein Segen!

Sie kennen sicherlich die Geschichte von Charles Eugster, einem britisch-schweizerischen Zahnarzt, der mit dem Mythos Pensionierung aufräumte und gleich zum Selbstversuch ansetzte. Er erkannte, dass man spätestens vor 80 mit dem Bodybuilding beginnen sollte, denn danach sei der Muskelschwund signifikant. Beginnt man aber davor, eröffnen sich einem ungeheure Welten. „Die erstaunlichste Erkenntnis ist, dass man Muskeln offenbar in jedem Alter aufbauen kann“, so Eugster in der FAZ 2010. Er ist übrigens Weltrekordhalter im 400-Meter-Lauf in der Altersklasse Ü95. Das ist mal ein Titel! Er verstarb letzten Sommer 97-jährig – voller Lebenslust.

Also weg mit dem Hirngespinst der 65er Todeslinie, hin zu einer flexiblen Lösung. Dann geht’s uns allen besser. Wirklich allen. „Das Alter ist die schönste und aufregendste Phase des Lebens“, sagte Charles Eugster. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mehr Meinungen gefragt? Besuchen Sie unsere verschiedenen Kolumnen.