Normalerweise gehöre ich nicht zu denen, die sich beschweren, was sie alles nicht haben. Aber durch die Reisebeschränkungen nicht spontan an Nord- oder Ostsee fahren zu können, hat mir als gebürtigem Nordlicht dann doch etwas zugesetzt. Also musste Kopfkino her.
VON DÖRTE WELTI
Das fand ich per Zufall beim Surfen. Im Internet. Ich stiess auf die Seite von Ankerherz und bestellte mir als erstes ein T-Shirt mit dem Spruch «Gedanklich am Meer». Dann ging es mir schon mal etwas besser. Beim Durchschauen der Homepage der Hamburger Firma entdeckte ich, dass sie auch ein Verlag sind und Bücher im Angebot haben. Am meisten zog mich das Buch «Northwestern» aus ihrer Campfire Edition an. Untertitel: Alaska – Eine norwegische Fischerfamilie – Ihre Saga. Ich war schon mal in Norwegen, habe ein paar wenige norwegische Freunde und dieses Buch klang nach Seemannsgarn und salziger Meeresluft. Ich hatte ehrlich keine Ahnung.
T-Shirt und Buch kamen, ich zog mir das Shirt über und freute mich darauf, abends ins Bett gehen zu können, weil ich eigentlich nur dort vor dem Einschlafen noch ein paar Seiten lese. Heiliger Klabautermann, hab ich mir da was eingebrockt! Das Buch aus der Sicht des Kapitän Sig Hansen, aufgezeichnet vom Journalisten Mark Sundeen ist das, was man im amerikanischen einen Pageturner nennt: Man will das ganze Buch in einem Durchlesen. Ich aber wollte das Erlebnis möglichst lange haben, ich musste mich aber echt zwingen, die Saga Häppchenweise zu erleben, jeden Abend einen Abschnitt. Ich weiss nicht, ob wirklich jede Begebenheit authentisch ist, das kann man nie wissen bei solchen Büchern, aber «Northwestern» ist so geschrieben, dass man gewillt ist, jeden Satz zu glauben, auch wenn es noch so unglaublich klingt. Abend für Abend habe ich mich mit den Fischern durch Stürme gekämpft, habe Krabben gezählt, Poseidon um Hilfe für die mehr als einmal absaufende Crew angefleht und bei der Suche nach verlorenen Fangkäfigen mitgefiebert. Man riecht die Gischt beim Lesen, den Fischgestank, spürt die klirrende Kälte des Ozeans und ist gefühlt genau so erschöpft wie die Seeleute. Und es ist keine Story von vor Hundert Jahren, diese Geschichten spielen sich vor allem in den 1970er bis 2000er Jahren ab.
Das Buch ist illustriert mit ein paar (viel zu) wenigen Fotos von «Fotofischer» Corey Arnold. Gerne würde man mehr Meer sehen, aber es ist nunmal kein Fotobuch. Was man aber kann und das habe ich erst später realisiert: Sich Folgen von der Reality TV-Show «Deadliest Catch» bei Discovery anschauen. Offensichtlich sind Sig Hansen und seine Crew Teil dieser Doku-Soap. Machen Sie das aber erst nach der Lektüre des Buches. Denn wenn man schon vorher zu viel weiss, wie die knallharten Typen tatsächlich drauf sind (oder zu sein scheinen, Reality TV hat seine ganz eigenen Scripts, Gesetzmässigkeiten und Drehbücher) ist das Buch nur noch halb so faszinierend.
Kapitän Sig Hansen & Mark Sundeen
Northwestern – Alaska. Eine norwegische Fischerfamilie. Ihre Saga
Ankerherz Verlag
ISBN 978-3-9401-3889-7