Es ist mir etwas peinlich darüber zu reden

Aber gesagt sei es nun trotzdem.

Ich liebte es als Kind, Daumen zu lutschen. Dem Nuggi konnte ich schon als Baby keinen Reiz abgewinnen. Der roch mir zu stark nach Gummi. Drum speuzte ich diesen Proppen stets im hohen Bogen aus dem Mund. Grad so, wie bald schon der verhasste Spinat schneller an der Küchenwand landete als in meinem Kinderschlund. Irgendwie behagte mir die eigene Haut als Einschlaf- und Beruhigungsset um einiges mehr. Alle Erziehungs- und Entwöhnungsversuche meiner Mutter fruchteten nichts.

Nuggis landeten subito auf dem Boden, baff. Und der Daumen diretissimo in meinem Mund. Und diese Lutscherei blieb – oh Schande – weit über das Kindergartenalter hinaus meine liebste Einschlafmethode. Solch kindliche Absonderlichkeiten wären wohl in meinem fortgeschrittenen Alter kaum der Rede wert. Hätte diese ganze Daumenlutscherei – fast wie in den bösen Kindermärchen vorausgesagt, nicht ins Elend – aber zumindest zu einer suboptimalen Zahnstellung geführt.

Mit anderen Worten, mein Gebiss entwickelte sich eher zu einer Osterhasen-Karikatur als den perfekt positionierten Beisserchen einer Pepsodent Reklame. Da schafft doch eine Zahnspange problemlos Abhilfe, ist wohl die Reaktion der geneigten Leserschaft. Klar. Wäre da nicht der masochistische Schulzahnarzt gewesen, der uns Kinder mit seinem uralten Bohrer das Fürchten lernte. Nach den ersten traumatischen Erfahrungen in Dr. Mabuses übelriechenden Folterkammer verbrachte ich die nächsten Jahre jeden weiteren, vereinbarten Zahnarzt Termin anstatt auf seinem Marter – Stuhl mit einem langen Spaziergang durch möglichst weit entfernte Quartierstrassen. Dies führte logischerweise nicht eben zum perfekten Gebiss.

Immerhin fand ich dann irgendwann trotz meiner Dentistenphobie einen etwas feinfühligeren Zahnschlosser, der flickte, was repariert sein musste. So blieben die Zähne schräg, aber wenigstens gesund. Aber vor der Zahnspange fürchtete mir weiterhin. Lieber selbstbewusst mit schrägen Beisserchen durch die Landschaft gondeln, als sich mit einem Gartenzaun im Mund der Lächerlichkeit preisgeben, war meine spätpubertäre Trotzreaktion.

Das änderte schlagartig, als ich eine Reise nach Brasilien unternahm. Ich traute dort meinen Augen nicht: der nette ältere Herr, der mich nach meiner Ankunft an der Hotel Rezeption begrüsste, trug eine halbe Eisenwarenhandlung im Mund. Spange unten und oben.  Die Kellnerin im Restaurant nebenan, eine reife Dame dito: Riesenspange auf der oberen Zahnreihe. Der Taxichauffeur: Spange mit knallblauer Verstärkung auf jedem einzelnen Zahn.  Immerhin, der Früchteverkäufer war spangenlos. Dafür lächelt mir die junge Mutter mit ihrem Baby mit einer coolen Spange entgegen.

Und so geht’s weiter. Die mollige Verkäuferin fortgeschrittenen Alters verkaufte mir die neuen Badehosen mit einer zungenbrecherischen Konstruktion im Mund: zwei mega Spangen, oben und unten, das Ganze seitlich mit einem kirschroten Gummiband zusammengehalten. Fazit meiner Reise: Halb Brasilien trägt Zahnspangen. Und die gelten dort als ebenso sexy, wie die hohen Stilettos oder knallengen Outfits der einheimischen Schönheiten.

Kaum zuhause rannte ich zu meinem Zahni und liess mir auch so ne Konstruktion einbauen. Für einen richtigen Eisenzaun reichte der Mut nicht. Aber immerhin werden seit zwei Jahren meine schrägen Zähne mit einem Plastikgebiss sachte in „Achtungs- Stellung“ gerückt. Wie heisst’s so schön: Reisen bildet. In meinem Fall brachte es mehr Biss.

Und so sah es dann aus ;-)

Und wer mehr Lesestoff sucht, einfach unsere Rubrik Meinungen besuchen.

Ähnliche Beiträge

Diese Webseite benutzt Cookies