Wer sich selbst treu bleibt, wird früher oder später glücklich. Auf diese Weise hat Schwester Theresia Raberger ihr Traumleben schliesslich auf einem Tiergnadenhof gefunden.

VON BENEDIKT LACHENMEIER

Sanft streichelt Schwester Theresia ihrem Nandi über den Kopf. Wie die gebürtige Österreicherin selbst, hat auch der Ochse hoch über dem Vierwaldstättersee sein Glück gefunden. Er war der erste Bewohner im idyllischen Tiergnadenhof der Stiftung Felsentor. Vor zwölf Jahren ist das Tier aus dem Schlachthof ausgebüxt und versteckte sich in einer Kuhherde. Der Entschluss seiner Entdecker stand fest: Dieser Mut muss belohnt werden. Zu seinem Glück hatte Schwester Theresia gerade ihre Arbeit als Tierschützerin unterhalb der Rigi aufgenommen und war bereit, den Ochsen zu beherbergen. Zurzeit leben nebst Nandi 89 Bewohner auf dem Hof. Darunter Legehennen, Hausschweine, Ziegen, Schafe und Strassenhunde. Seit 2005 konnte die 59-jährige Ordensfrau und Zen-Priesterin rund 200 Tiere retten.

Doch muss die Tierschutzstelle auch Anfragen ablehnen. «Der Gnadenhof ist schnell pumpvoll.» Seit fünf Uhr in der Früh ist Schwester Theresia bereits auf den Beinen. Als Erstes war Hunde ausführen angesagt. Danach die tägliche Meditation im Zen-Zentrum. Punkt halb neun steht die Tierschützerin nun bei den Schweinen am Futtertrog. «Die Säuli haben eine Uhr im Kopf. Sie wissen ganz genau, wann es Frühstück gibt», lacht sie. Nachdem die Franziskanerin alle anderen Tiere mit Futter und Medizin versorgt hat, bringt sie die Ställe wieder auf Vordermann.

Dann führt sie vor dem Mittagessen noch die Ziegen aus. Am Nachmittag wiederholt sich das ganze Programm. Das Leben hier oben ist anstrengend. Der Tag endet selten vor elf Uhr nachts. Freizeit kennt Schwester Theresia kaum. In den letzten zwölf Jahren hat sie sich nur einmal Ferien gegönnt. Doch das macht ihr nichts aus. Im Gegenteil: «Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, dass ich ganz und gar für die Tiere da sein darf.» Für sie ist es nicht selbstverständlich, diese Arbeit auszuführen. «Wenn man sich das wünscht, kann man eigentlich nichts Falscheres machen, als in einen katholischen Orden einzutreten.» Damals als junge Frau wollte Theresia Raberger unbedingt im Kloster leben – «schon mit elf Jahren wusste ich, dass das mein Weg sein wird» – und dort als Tierärztin arbeiten. Doch das war nicht möglich. Allerdings durfte sie später eine Tierschutzlehre absolvieren.

«Ich war schon immer ein bunter Vogel», verrät die 59-Jährige und verwöhnt nun ein Huhn mit ein paar Streicheleinheiten. Vor ihrer Tätigkeit bei der Tierschutzstelle war die Ordensschwester Sozialarbeiterin auf der Strasse zwischen Dealern und Prostituierten. «Ich war oft 36 Stunden am Stück unterwegs. Innerhalb von einem Jahr habe ich zwei Herzinfarkte erlitten. Das hat mich aus dem sozialen Bereich herausgerissen.» Glück im Unglück. Weil die Klostervorsteherin der Meinung war, Schwester Theresia solle eine weniger anstrengende Arbeit ausüben, erlaubte sie ihr, die Stelle als Tierschützerin im neuen Zen-Zentrum Felsentor anzunehmen.

«Es ist klar, dass ich den Rest meines Lebens den Tieren widmen möchte», sagt die Ordensfrau mit Überzeugung. «Für mich gibt es nichts Sinnvolleres, als diesen Wesen Unterstützung zu geben.» Für die Klosterfrau ist es bereits das zweite Mal, dass sie Tieren zu einem neuen Zuhause verhilft. Als sie in einem Tiroler Kinderheim arbeitete, rettete sie Hunde und Katzen vor dem sicheren Tod. «Ich habe den Bauern in der Umgebung gesagt, sie sollen die ungewollten Tiere nicht mehr erschlagen, sondern bitte lieber uns bringen.»

Was kann der Mensch vom Tier lernen? «Ganz viel. Unsere Tiere hier oben haben enorm schlechte Erfahrungen gemacht. Trotzdem sind sie nicht zerbrochen und haben auch nicht zu hassen begonnen. Sie lassen sich wieder neu ein. Wenn Menschen das könnten, wären sie um einiges erlöster.» Schwester Theresia beeindruckt auch, wie Tiere im Moment leben. «Diese Präsenz hat eine eigenartige Schönheit. Eine Quelle des Leidens für Menschen ist doch, dass wir mit unserer Energie immer woanders stecken als im Jetzt.» Sagt es und macht sich auf den Weg, um mit den Ziegen nochmals eine Runde zu drehen. Es ist fast elf Uhr. Nun gönnt sich die Tierschützerin ihre wohlverdiente Nachtruhe.

 

Dieser Artikel erschien im 50plus Magazin vom Februar 2018.