Zu jedem Buch, das man liest, gibt es eine Story, oder nicht? Ich jedenfalls lese Bücher nicht einfach so oder weil ich muss oder am Ende dafür bezahlt bekäme.

VON DÖRTE WELTI

Bücher kommen zu mir aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die meisten bleiben, wohnen mit mir sehr sehr lange, bis sie aus genau so vielen Gründen aus meinem Blickfeld verschwinden. Für manche Bücher habe ich ein extra Regal mit dem imaginären Label «aufpassen, dass es nicht wegkommt» drauf. Weil ich sie öfter lesen wollen würde wenn ich die Zeit hätte, oder nochmal drin blättern möchte, oder weil sie zu einem persönlichen Freund geworden sind.

Kurz vor Weihnachten 2019 fuhr ich in Zürich in der Stadt eine steile Strasse hinab und sah aus dem Augenwinkel vor einem Buchladen, an dem ich schon Hunderte Mal vorbei gefahren bin, ein Kneipenschild stehen. Auf der schwarzen Tafel war mit weisser Kreide geschrieben «Heute 13 Uhr Signierstunde mit Konstantin Wecker». Ich kannte den Barden auf Grund seiner Lieder, die ein Teil meiner Jugend waren, vor allem, wenn ich mich so lässig und so bohemian-mässig gefühlt hatte. Seine lyrischen Texte passten zu so ziemlich jedem Lebensgefühl das ich damals verspürte, gerne auch in Situationen mit Herzschmerz. Dass der gebürtige Münchner auch Bücher schreibt, war an meinem Leben bisher vorbei gegangen.

Ich hielt an, neugierig und auch ein bisschen aufgeregt. Konstantin Wecker gehörte in meiner Wahrnehmung immer zu den sehr männlichen Stars, gut aussehend, mit diesem Blick, der irgendwo zwischen hab-mich-lieb und lasst-mich-in-Ruhe-ich-hab-eine-verletzte-Seele lag. Genau das, was in jeder Frau den Retterinstinkt anschiebt. Was soll ich sagen: Der Blick war immer noch der gleiche. Ein leicht erschöpfter Konstantin Wecker sass in dieser kleinen Buchhandlung, er hatte am Abend zuvor ein Konzert in Luzern gegeben und war jetzt in Gedanken schon wieder zuhause bei Frau und Kindern, witzelte, er sei halt auch nicht mehr der Jüngste. Kurz nachgerechnet: Konstantin Wecker wird dieses Jahr 72. In meiner Wahrnehmung stand aber vor mir der Sänger in seinen besten Enddreissiger Jahren, der Zeit, in der ich seine Songs gehört habe. Auf dem Tisch neben ihm lagen diverse Bücher von ihm, ich griff das mit dem schönsten Blick vorne drauf und stellte mich an. Er fragte mich wie alle nach meinem Namen, schrieb «Für Dörte alles Liebe» und seine Signatur hinein und reichte mir das Buch. Erst dann schaute er mich intensiv an. Wir wechselten zwei drei Worte, ich bin sicher, ich hab irgendwas Unbeholfenes gesagt und dann ganz schnell die Buchhandlung verlassen.

Das Buch «Die Kunst des Scheiterns» habe ich wenige Tage später am Strand von Westjütland während der Weihnachtsferien gelesen, seine «beste Biografie, weil meine erste», wie er mir sagte. Eingekuschelt in Decken und versorgt mit Glühwein habe ich von Seite zu Seite erstaunter das atemlose Leben dieses Kultsängers nachvollzogen. Habe seine Songtexte erst jetzt verstanden und beim Lesen immer diesen Blick vor mir gesehen. Kein Wunder, dass. Dass was? Lesen Sie das Buch. Ich pass auf, dass meines ganz sicher nicht wegkommt.

Die Kunst des Scheiterns
Konstantin Wecker
Piper Taschenbuch 978-3-492-25319-2