Irma schauderte.

WAS HATTEN DREI SCHILDKRÖTEN IN EINER KÜCHE ZU SUCHEN?

Überhaupt sah es hier aus, wie in einem Schweinestall: „…aber ich will die Schweine ja nicht beleidigen!“, meinte sie spitz zu Philip.

Dann schaute sie ihren Sohn streng an: „Also für so etwas, hättest du nicht aus meinem Haus ausziehen müssen!“.

Philip war immer ein schwieriger Junge gewesen. Sein Vater hatte sich schon früh aus dem Staub gemacht. Irma hätte auch einen Elefanten verkrault. Sie war nicht unbedingt der Sonnenstrahl, der Herzen erwärmte.

„WAS BRINGT DIR DIESE WOHNFORM? DU HAST EIN UNAUFGERÄUMTES ZIMMER IN EINEM TOHOUWABOHOU. DU TEILST DIE KLOSCHÜSSEL MIT 5 PERSONEN. IN DER KÜCHE HATS SCHILDKRÖTEN EN MASSE.UND DAS NENNT SICH WG? „

Philip schwieg. So wie er immer bei seiner Mutter geschwiegen hatte. Erst mit 36 war er aus der grossen Villa weggezogen: „Ich brauche Luft…eine andere Umgebung“ – es war der mutigste Satz, den Philip je bei seiner Mutter riskiert hatte.

Als dann ein junger Mann, nackt wie ein Regenwurm in der Küche auftauchte („Hat’s hier irgendwo Shampoo?“) machte Irma genervt einen Schritt rückwärts.

Leider war da eine der Schildkröten.

Irma donnerte mit einem Aufschrei zu Boden.

„Aus diesem Vieh mache ich Suppe!“, brüllte sie.  Und: „Beckenbruch“, konstatierte der Notfallarzt.

Im Spital hatte Irma Zeit über die Zukunft und das Ende nachzudenken: sie war bald einmal 80 (Philip war das, was man ein „spätes Kind“ nennt, gewesen). Sie wohnte jetzt alleine in der Villa. Und eigentlich wäre eine Alterswohnung die vernünftige Lösung.

Irma tat sich aber schwer mit der Vernunft.

Als sie dann in das Rehabilitations-Haus mit dem sonnigen Namen „Zur Lebensfreude“ und angegliederter Senioren-Pension kam, wusste sie eines mit Sicherheit: „NICHT IN EIN ALTERSHEIM! ÜBERALL NUR ROLLATOREN UND WACKLIGE MÜTTERCHEN IM MORGENROCK. NEIN. D A S NICHT!“.

Sie wurde gut betreut. Aber diese ewige Fürsorglichkeit konnte auch ganz schön nerven: „Jetzt versuchen wir mal ein paar Schritte im Gang“ – lächelte die Therapeutin.

„W I R? TUN SIE, WAS SIE NICHT LASSEN KÖNNEN. I C H BLEIBE IN MEINEM SESSEL!“ rumpelte Irma.

Sie war ein arger Brocken.

Philip blätterte ihr verschiedene Wohnformen hin: „Im „Abendfrieden“ hättest Du drei Zimmer. Du könntest ein paar Deiner Möbel mitnehmen und…“

„Weshalb gibt es keine Altersheime, die sich „Schlusspunkt“ nennen?“ – brüllte Irma genervt.

Wie gesagt: sie war kein Wonneproppen!

Die Änderung kam mit Ludwig. Er war Physiotherapeut. Sah aus wie Apollo himself. Und zeigte ein Muskelpaket, das Irma unwillkürlich an tanzende Rohschinken erinnerte.

Doch siehe da – der Giftzahn kuschte. Sie machte für Ludwig alle Übungen. Und spazierte mit ihm fast schon glücklich am Rollator im Garten herum.

Philip war ebenfalls glücklich mit Ludwig.

Man sah die zwei jetzt öfters zusammen in der Cafeteria. Eines Tages blätterten die beiden Irma einige Skizzen auf den Beistelltisch: „Wenn wir einen Treppenlift einbauen würden und das Badezimmer ins Parterre verlegen – also dann könntest Du doch in der Villa bleiben. Ich würde zurückkommen und…“

„ABER DU DARFST DEN TREPPENLIFT NICHT BENUTZTEN!“, knurrte Irma.

Sie lebte sich wunderbar in der neuen Wohnform ein. Alle Schwellen waren weggerupft worden.  Und statt der alten Badewanne gab es jetzt eine grosse Douchekabine mit Klappsitz.

Eines Tages stotterte Philip herum: „Also – wir haben doch so viele unbenutzte Zimmer oben und…ähemm…“

Irma horchte auf: „Rede nicht um den Brei herum…was ist los!“

Philip gab sich einen Ruck: „Ludwig sucht eine Wohnung…und da habe ich gedacht, er und ich könnten oben…ähemm“

Irmas Gedanken schlugen Purzelbäume: eine Dreierkombo als neue Wohnvorlage… der Therapeut unter eigenem Dach…dazu ein, wie es schien, glücklicher Sohn …

Sie schaute Philip streng an: „Hat er Schildkröten?“