Es rauscht, saust, knackt, hämmert, klingelt oder pfeift. Tinnitus ist ebenso weit verbreitet wie lästig für die Betroffenen. Wie die Ohrgeräusche entstehen und wie sie sich behandeln lassen.

VON SUSANNE STETTLER

Na, klingelts bei dir? Diese Frage können Tinnitus-Betroffene im wahrsten Sinne des Wortes mit «ja» beantworten. Schliesslich leitet sich der Begriff «Tinnitus» vom lateinischen Wort «tinnire» ab, was «klingeln» bedeutet.  Rund 40 Prozent der Menschen in der Schweiz nehmen im Verlauf ihres Lebens irgendwann einmal ein solches Geräusch wahr und ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung haben längerfristig mit einem Tinnitus zu kämpfen.

Es kommt immer wieder oder es ist ständig da, bei den einen leiser und bei den anderen lauter, manchmal eher tief, manchmal höher. Erwünscht ist das unangenehme Geräusch aber in keinem Fall. Die Umwelt ist nicht die Quelle des Tons, sondern er entsteht im Kopf der Patientin oder des Patienten. Unabhängig von seiner Klangqualität wird er im Kopf, in einem oder sogar in beiden Ohren wahrgenommen.

Fachleute unterscheiden zwischen akutem Tinnitus – ein neu aufgetretenes Ohrgeräusch, das bis zu drei Monate dauert – und chronischem Tinnitus, welcher bereits länger als sechs Monate besteht. Darüber hinaus differenziert man zwischen dem subjektiven Tinnitus, den nur die Betroffenen selbst mitbekommen, sowie dem sehr seltenen objektiven Tinnitus, den auch ein Arzt mit Hilfe des Stethoskops hören kann.

Umfangreiche Ursachenforschung
Beim Tinnitus handelt es sich um kein eigenständiges Hals-Nasen-Ohren-Leiden, sondern um ein Symptom für eine andere Erkrankung. Meist trifft es Personen zwischen 40 und 50 Jahren, in der Regel mehr Frauen als Männer. Im Alter steigt das Risiko, solche Ohrgeräusche zu entwickeln. Es gibt jedoch zunehmend junge Patienten – lautes Musikhören spielt dabei eine wichtige Rolle. Neben Lärmschäden kommen auch Altersschwerhörigkeit, Durchblutungsstörungen, Entzündungen oder Tumore als Ursache für einen Tinnitus in Frage. Herauszufinden, welches Problem genau vorliegt, ist Aufgabe des Hals-Nasen-Ohren-Arztes.

Und es gibt noch weitere Erklärungen für das Phänomen: Die empfindlichen Sinneszellen im Innenohr wurden geschädigt. Diese zirka 19 000 Haarzellen nehmen unterschiedliche Tonfrequenzen wahr und übertragen diese auf den Hörnerv, der die Signale ins Hirn leitet. Erleiden die Haarzellen zum Beispiel wegen Lärm oder Stress Schaden, kommen in der Hörrinde des Hirns für bestimmte Frequenzen keine Signale mehr an. Will heissen: Der oder die Betroffene hört diese Töne nicht mehr. Da der menschliche Organismus aber schlau ist, «merkt» die dafür zuständige Hirnregion, der Thalamus, das sofort und gibt den Hörzellen den Befehl, das fehlende Signal zu liefern. Derart stimuliert, verfallen die Hörzellen in eine Art Hyperaktivität und erzeugen die gesuchten Frequenzen selbst. Das Resultat ist ein chronisches Ohrgeräusch, der Tinnitus.

Als Begleiterscheinungen – so genannte sekundäre Symptome – können beispielsweise Schlafprobleme, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder sogar Depressionen dazukommen.

Wann zum Arzt gehen?
Nach einem anstrengenden Tag, einem lauten Konzert oder einem Aufenthalt in lärmiger Umgebung haben die meisten Menschen schon einmal ein Ohrgeräusch gehört. Meist verschwindet dieses aber nach ein paar Stunden wieder. Ist es jedoch nach einem bis drei Tagen immer noch da, empfiehlt sich der Gang zum HNO-Spezialisten. Der Arzt fragt dann, seit wann das Geräusch vorhanden ist, wie es sich anhört und was es möglicherweise ausgelöst hat. So kann er sich ein Bild der Beschwerden und der eventuellen Ursache machen. Zur Tinnitus-Diagnose steht eine ganze Reihe von Tests zur Verfügung: Untersuchung von Hals, Nase und Ohren, Hörtests, Analyse des Ohrgeräuschs, Prüfung der Geräuschabgabe des Innenohrs, Gleichgewichtsstörungs-Test, Blutuntersuchung, Magnetresonanztomographie und/oder Computertomographie des Schädels, Untersuchung von Kiefer und Halswirbelsäule.

Verschiedene Behandlungen
Da die Ursachen des Tinnitus nicht immer dieselben sind, variieren auch die Therapien. Ist die beispielsweise Hörfähigkeit eingeschränkt, verbessert ein Hörgerät nicht nur das Hören, sondern es kann auch den Tinnitus reduzieren. Liegt Stress dem Ohrgeräusch zugrunde, gilt es diesen abzubauen, Entspannungsmethoden (z. B. autogenes Training, Yoga, Qi Gong, Tai Chi, progressive Muskelrelaxation) zu erlernen und sich Stressvermeidungs-Strategien anzueignen. Kommen Ohrensausen und Schwindel zusammen, könnte die Menière-Krankheit dahinterstecken, eine Erkrankung des Innenohrs. Wird das Problem von Bluthochdruck oder Herzrhythmusstörungen hervorgerufen, gilt es diese Grunderkrankungen zu behandeln. Sind Mittelohr-, Gehörgangs- oder Nasennebenhöhlenentzündungen die Wurzel des Übels kommen oft Antibiotika zum Einsatz und ist ein Hörsturz schuld am Tinnitus, ist in der Regel Kortison das Mittel der Wahl.

Unabänderliches Schicksal?
Einmal Tinnitus, immer Tinnitus? Bei der chronischen Form ist das in der Regel so. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Therapie gibt! Denn es existieren verschiedene Möglichkeiten, einen dekompensierten (belastenden) Tinnitus in einen kompensierten (erträglichen) zu «umzupolen». Das Ziel ist es dabei, dass der Patient oder die Patientin lernt, das Ohrgeräusch zu akzeptieren, zu tolerieren und schliesslich zu überhören. Psychotherapeutische Massnahmen können dabei ebenso helfen wie ein Noiser, ein Gerät, welches die Wahrnehmung des Gehirns so verändert, dass der Tinnitus mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund tritt. Neben der Schulmedizin kann die Komplementärmedizin helfen: beispielsweise Akupunktur, Ayurveda, Bach-Blütentherapie, Homöopathie, Osteopathie, Chirotherapie oder Klangtherapie.

Was auch immer die Ursache für das Klingeln, Rauschen oder Knacken im Ohr ist – es gibt Hilfe! Mit den richtigen Massnahmen lässt sich die Situation der Betroffenen (entscheidend) verbessern.