Wenn der Körper zum heiligen Tempel wird

Ich glaube, nun habe ich endgültig den Anschluss an den Zeitgeist verpasst. Mit dieser schmerzhaften Erkenntnis bin ich seit meiner letzten Einladung zu einem vermeintlich gemütlichen Nachtessen bei mir zu hause konfrontiert. Details dazu kommen gleich.

VON Kurt Aeschbacher

Erste Anzeichen, dass ich mit gewissen Entwicklungen rund um das offensichtlich immer verspanntere Verhältnis meiner Mitbürger (Freunde inbegriffen) zum Essen nicht mehr mithalten kann, zeigten sich bereits anfangs Jahr. Da sass ich mit einer hochgelobten Persönlichkeit in Sachen Gesundheitsfragen, seines Zeichens Professor und engagierter Politiker in einem gemütlichen Restaurant. Ich bestellte spontan Kalbsleber mit Rösti. Bei meinem Gegenüber dauerte die Bestellung etwas länger. Ein Fisch sollte es sein, ja nicht grilliert, bloss kurz im Dampf pochiert, ungewürzt und natürlich unbedingt ungesalzen. Der Kellner konnte nicht dienen. „Nun dann“, seufzte das Gegenüber, „bringen sie mir Spinat. Aber bloss in salzlosem Wasser kurz blanchiert.“

Meine Verunsicherung bei dieser doch eher spartanischen Bestellung wurde mit einem differenzierten Vortrag über die gesundheitlichen Schäden salzhaltiger Kost quittiert. Damit war meine knusprige Rösti vermiest und jedes Zipfelchen Kalbsleber mit der perfekt abgeschmeckten, würzig dunklen Sauce wirkte wie ein Attentat auf meinen Körper. Nicht zu reden vom Salzstreuer auf dem Tisch, der mich wie die Handgranate eines Attentäters anstarrte.

Was ich als einen einmaligen, eher sektiererischen Lehrblätz ad acta legen wollte, wiederholt sich seitdem in zunehmender Kadenz und mit verschärften Konturen. Eskaliert hat es dann, als ich zur Wohnungseinweihung einer Freundin (stolze Mutter einer kürzlich geborenen Tochter) und ihrem Partner als symbolisches Geschenk ein Knusperbrot und eine Sammlung von hawaiianischem Bambussalz, dänischem Rauchsalz und zypriotischem Schwarzsalz mitbrachte und der Meinung war, damit sowohl einen kulinarischen wie auch symbolischen Beitrag zur neuen Bleibe geleistet zu haben. Das Gastgeschenk flog mir um die Ohren mit der Bemerkung der jungen Eltern, dass sie sich seit Wochen salzlos ernähren würden und während der Stillzeit sowieso die Oekokost, die das Kind und die Mutter nun dringend benötigen, zur Sicherheit nur noch daheim zubereiten würden. So werden Mütter zu Biokühen.

Zur endgültigen Einsicht, dass sich neuerdings die Menschen via ihr verspanntes Verhältnis zum Essen in einer mir nicht nachvollziehbaren Selbstbestrafung kasteien wollen, kam ich rund um eine Tafelrunde kürzlich bei mir zu Hause. Ich weiss, dass die eine Freundin seit längerem Vegetarierin ist, und bereite deshalb neben dem traditionellen Schmorrbraten als Hauptgang für die Normalos für sie immer einen besonderen Gemüsegratin zu. Diesmal machte sie mir jedoch schon bei der Vorspeise klar, dass sie seit Wochen Veganerin sei, und damit der Rahm im Gratin für sie so wenig in Frage komme, wie die Eier im eben aufgetragenen Nüsslisalat. Damit war auch die aufwendige Käseplatte ersatzlos vom Menue gestrichen. Dass sich dann beim Service meiner frisch gemachten Nudeln, veredelt mit feinen weissen Trüffeln mein bester Freund am Tisch wegen einer akuten Glutenallergie* weigerte, diese Delikatesse auch nur vor sich zu sehen, war mir klar, dass in unserer Zivilisation seit neustem Todesgefahr auf dem Teller lauert. Der besondere Mensch braucht offensichtlich besondere Nahrung: als eine Art Selbstbestrafung, oder als Busse für den verlorenen Kontakt zur Natur. Denn sein Körper ist ein heiliger Tempel geworden.

*Laut Statistik leiden höchstens 0,5 % der Bevölkerung an einer echten Glutenallergie. In der Zwischenzeit gibt es jedoch kaum mehr ein renommiertes Restaurant, das nicht glutenfreie Gerichte anbietet.

Weitere Geschichten von mir findet ihr hier.

 

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