Wo Reben wachsen, ist im Frühling gut wandern, etwa am Sonnenhang über dem Bielersee. Diese Kultur- und Weinregion am Jurasüdfuss wartet mit einem Reblehrpfad und weiteren Sehenswürdigkeiten auf.

von Franz auf der Maur

Die Weinbaulandschaft am Nordufer des Bielersees zählt zu den ältesten Siedlungsgebieten der Schweiz. In Twann beginnt unsere Wanderung zuerst auf dem Reblehrpfad nach Ligerz und führt dann weiter über die Sprachgrenze nach La Neuveville/Neuenstadt.

Rebwege, dies sei gleich gesagt, warten kaum je mit Moospolstern auf. Selbst wenn nicht die ganze Route asphaltiert ist, herrscht doch harter Belag vor. Für einmal reichen daher leichte Schuhe, selbst für den Abstecher in die Twannbachschlucht. Es ist dies die einzige Waldpassage. Sonst herrscht offenes Gelände mit Weitsicht übers Wasser vor: jetzt im Frühling ideal für Sonnenhungrige, als Sommerwanderung dagegen der Hitze allzu sehr ausgesetzt.

Römer brachten Weintrauben
Der Jurahang über dem Bielersee produziert etwa 80 Prozent Weisswein (aus Chasselas-Trauben, die auch Gutedel heissen) und 20 Prozent Rotwein (Pinot noir, auch Blauburgunder genannt). Eingefasst ist die Rebterrassenlandschaft unten am Seeufer durch Strasse und Eisenbahn, oben am Hang durch den Saum des Laubwaldes im zarten Frühlingsgrün. Es waren die alten Römer, die vor rund 2000 Jahren die Rebe auf die Alpennordseite nach Helvetien brachten. Seither werden hierzulande in klimatischen Gunstlagen die Weinstöcke gepflanzt.

Produktionszwänge der modernen Agrikultur bedrohen nun zunehmend die traditionellen Rebbaulandschaften. Vor allem in flacherem Gelände werden die mauergesäumten Kleinparzellen von grossflächigen Plantagen abgelöst; sie erlauben den Maschineneinsatz, wie dann etwa zwischen Ligerz und Neuenstadt zu beobachten sein wird. Im ersten Teil unserer Wanderung hingegen, wo Steilhänge vorherrschen, konnte sich die althergebrachte Bewirtschaftung auf kleinflächigen Rebterrassen halten: dem Gelände über dem Ufer angepasst und durch Mauern aus behauenen Jurakalksteinen geschützt.

Wandern an der Sprachgrenze
Dank Umfahrungsstrasse hat Twann eine schmucke Fussgängerzone gestalten können. Hier ergiesst sich der Twannbach in den Bielersee, nachdem er die letzten Gefällsmeter mit einem Wasserfall bezwungen hat. Seinem Ostufer entlang tauchen wir nun in die geheimnisvolle Twannbachschlucht ein.

Der Preis für schattige Waldeskühle ist ein 120-Meter-Anstieg, der bedeutendste des Tages.

An mehreren Stellen in der Schlucht zeigt sich der Gesteinsuntergrund entblösst. Wir stossen gewissermassen ins Herz der ersten – oder aus Sicht der Region Basel letzten – Jurakette vor und entdecken dabei jene hellen Kalke, die wir bereits von den Rebbergmauern her kennen.

Neben dem «gewachsenen» Kalkstein sind da und dort steinerne Fremdlinge zu sehen: Findlingsblöcke, die vor mehr als 10 000 Jahren vom eiszeitlichen Rhonegletscher aus dem Wallis ins Bielerseegebiet transportiert wurden.

Der Doppelname von Bach und Dorf (Twann/Douanne) beweist, dass unsere Wanderung in unmittelbarer Nähe der Sprachgrenze zwischen Deutschschweiz und Romandie verläuft. Auch die nächsten Ortschaften tragen zwei Bezeichnungen: Ligerz/Gléresse, Schafis/Chavannes und – nun schon eindeutig auf welschem Boden – La Neuveville/Neuenstadt.

Pilgerweg nach Ligerz
Nach einer Spitzkehre und einer Bachüberquerung liegt die Twannbachschlucht hinter uns. Fortan führt der Weg wieder durch Reben. Vor Ligerz nimmt die alte Kirche, mitten in den Weinbergen gelegen, die Blicke gefangen. Ein Pilgerweg führt zu diesem Gotteshaus hin, in dem so manche Ehe geschlossen worden ist.

Als zweite Ligerzer Sehenswürdigkeit bleibt das Rebbaumuseum am See unten zu erwähnen, Endpunkt des Reblehrpfads, der uns auf den letzten Kilometern allerhand Wissenswertes über diesen Erwerbszweig vermittelt hat.

Auch während der letzten Etappe zum Tagesziel Neuenstadt lässt sich im See draussen stets die Silhouette der Sankt Petersinsel erkennen. Wie ein Wal ragt das Eiland aus dem Wasser. Mönche des Kluniazenserordens hatten ums Jahr 1100 auf der Insel ein Kloster gegründet und ihre Kirche dem heiligen Petrus geweiht – daher der Name. Einige Wochen lang während des Jahres 1765 weilte der Genfer Naturphilosoph Jean- Jacques Rousseau auf diesem schönen Fleck Erde.

Unsere Frühlingswanderung über dem Bielersee endet in Neuenstadt, einem bernischen Landstädtchen von historischem Charme an der Grenze zum Kanton Neuenburg. Vielleicht bleibt noch Zeit zum Besuch der monumentalen Schlossruine über dem Ort … oder zu einem Abstecher mit dem Bielersee-Kursschiff hinüber zur Petersinsel.

Route
Twann am Nordufer des Bielersees—Twannbachschlucht— Ligerz—Schafis—La Neuveville/Neuenstadt.

Wanderzeit
3 gemütliche Stunden mit Lehrpfad-Instruktionen und je 200 Meter Steigung und Gefälle.

Öffentlicher Verkehr
Twann, Ligerz und La Neuveville/Neuenstadt liegen zwischen Biel und Neuchâtel/Neuenburg an der SBB-Jurafusslinie.

Karten
Landeskarte der Schweiz 1 : 25 000, Blatt 1145 «Bielersee». Landeskarte 1 : 50 000, Blatt 232 «Vallon de St-Imier». Wanderkarte 1 : 50 000, Blatt 232 T «Vallon de St-Imier».