Das ist kein Nationalpark, wo Menschen nur als Tagesgäste geduldet und Hunde, Feuermachen und Campieren verboten sind, sondern eine naturnah gebliebene Kulturlandschaft: Im regionalen Naturpark Diemtigtal im Berner Oberland hat es Platz für die ansässige Bergbauernbevölkerung wie auch für Touristen.

Von Franz auf der Maur

Anders als in einem Nationalpark mit seinem Zwang, auf markierten Pfaden zu bleiben, darf man im Diemtigtal, so es jemanden gelüsten sollte, das gut ausgebaute und beschilderte Wanderwegnetz auch mal verlassen. Ein ungefährliches Abenteuer, denn längst gibt es hier keine Bären mehr (das einsame Diemtigtal war ihr letztes Rückzugsgebiet im Kanton Bern), und auch von den sagenhaften Drachen, Drunen genannt, hat man schon seit Längerem nichts mehr vernommen (an sie erinnert noch der Bergname Drunengalm). Zum Konzept regionaler Naturpärke gehört die Erlebnispädagogik. Im Fall des Diemtigtals sind dies Lehrpfade, auf denen den Besucherinnen und Besuchern Natur und Kultur nahegebracht wird. Im ersten Teil unserer Rundtour ist dies der Vogelweg, auf dem letzten Abschnitt dann der heimatkundliche Hausweg.

Federball trotzt dem Wildwasser
Beim Dorf Oey im unteren Simmental, wo sich der Wildbach Chirel aus dem seitlich einmündenden Diemtigtal mit der Simme vereinigt, beginnt die Wanderung dem Chirel entlang aufwärts zum Weiler Horboden. Dem Gewässer auf der Ostseite folgt die Diemtigtalstrasse hinauf zur Grimmialp, auf der Westseite verläuft die Wanderroute mit den Informationstafeln des Vogelwegs.

Gelegentlich braucht es etwas Geduld und auch Glück, um die Tiere im Flug oder am Boden beobachten zu können; Sitzbänke erleichtern das Warten. Besonders interessant ist das Leben der Wasseramsel: Der kleine Federball schwimmt und taucht behände nach Nahrung und versteht es auch, der Strömung trotzend am steinigen Grund des Chirels herumzulaufen.

Beim Horboden mit Restaurant und Postautohaltestelle fliessen Chirel und Fildrich zusammen. Über den Chirel führt hier eine neu erstellte gedeckte Fussgängerbrücke in beeindruckender Zimmermannstradition. Sie verbindet ein ebenfalls neu erstelltes Stück Wanderweg, das hinauf zu einem Waldsträsschen führt; dieses wiederum senkt sich gemächlich zur Talstrasse bei der Chollerenbrücke über den Fildrich. Auf diese Weise lässt sich ein Stück Asphalttippelei vermeiden.

Nun steht die grösste Steigung des Tages bevor: fast 300 Höhenmeter hinauf zur Chilchflue an der Westflanke des Abendbergs. Von diesem Aussichtspunkt bei 1168 m ü. M., der Kulmination des Tages, öffnet sich der Blick hinüber zur Niesenkette. Während die Niesen- Pyramide in Eckposition über dem Thunersee dank Drahtseilbahn und Berghotel zu den bekanntesten Ausflugszielen des Berner Oberlandes zählt, sind die Gipfel des anschliessenden Grates kaum bekannt und werden auch selten bestiegen: Fromberghorn, Drunengalm, Standhorn, Steinschlaghorn, Tschipparellenhorn, Mäggisserhorn, Schmelihorn und schliesslich der Hohniesen.

Käsespezialitäten und Trockenfleisch
Am Fuss der Niesenkette erstreckt sich eine Zone landwirtschaftlicher Nutzung mit typischer Streusiedlung. Administrativ ist das ganze Diemtigtal in acht Bäuerten unterteilt, wo etwas mehr als 2000 Menschen leben. Vom Naturpark versprechen sie sich neben einer Belebung des sanften Tourismus auch einen verbesserten Absatz ihrer Erzeugnisse, hauptsächlich Käsespezialitäten und Trockenfleisch.

Ein schmaler Pfad, bei Achtsamkeit gefahrlos zu begehen, windet sich von der Chilchflue mit zuerst leichtem, dann stärkerem Gefälle durch den Bergwald dem Diemtigbergli entgegen. Dem Namen Bergli zum Trotz stehen wir auf einer ebenen Geländeschulter zwischen Diemtigtal und Simmental. Hier befindet sich das zweite Restaurant auf der Wanderstrecke, und nun geht die Aussicht zur Stockhornkette hinüber. Auffällig die steilen Felsen aus hellem Kalk, die einen markanten Kontrast zu den weicheren Niesenschiefern von dunkler Farbe bilden. Während die Stockhornkalke fast senkrechte Wände bilden, verwittern die Schiefer zu weicheren Formen.

Wie das Diemtigbergli liegt auch Diemtigen auf einer Geländeschulter, freilich 200 Meter tiefer. Das Dorf abseits des Durchgangsverkehrs hat seine traditionelle Holzbauweise bewahrt und dafür den Wakker-Preis des Schweizer Heimatschutzes erhalten. Ein Teilstück des Diemtigtaler Hauswegs führt entlang der Wanderroute vom Diemtigbergli über Diemtigen zurück nach Oey.

Unterwegs finden sich elf historische Hausfassaden aus dem 16. bis zum 19. Jahrhundert, darunter das Restaurant «Hirschen» in Diemtigen von 1790. In diesem Gasthof feierte die Talbevölkerung 1819 die Erlegung des letzten Bären. Wer nach der Tour in dessen einstigem Revier ermüdet ist, kann sich das letzte Teilstück schenken und mit dem Postauto zum Bahnhof Oey-Diemtigen zurückfahren.

Route
Bahnstation Oey-Diemtigen (669 m)—auf dem Vogelweg dem Chirel entlang nach Horboden (815 m)—Chollerenbrücke über den Fildrich (871 m)—Aufstieg zur Chilchflue (1168 m)—Abstieg zum Diemtigbergli (993 m)—Diemtigen Dorf (809 m)— Bahnstation Oey-Diemtigen (669 m).

Wanderzeit
Etwa 5 Stunden mit je 500 Metern Steigung und Gefälle.

Varianten
Abkürzungsmöglichkeiten durch Benutzung des Diemtigtal-Postautos, Haltestellen am Wanderweg sind Grund, Horboden, Chollerenbrücke und Diemtigen.

Öffentlicher Verkehr
Bahnstation Oey-Diemtigen an der BLS-Strecke Spiez—Zweisimmen. Diemtigtal-Postauto von Oey-Diemtigen Richtung Grimmialp.

Karten
Landeskarte der Schweiz 1 : 25 000, Blatt 1227 «Niesen». Landeskarte 1 : 50 000, Blatt 253 «Gantrisch». Wanderkarte 1 : 50 000, Blatt 253 T «Gantrisch».